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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Marcel Weber

Carolyn Breuer

Lebenskr(e)ise

Mit „Four Seasons Of Life“ meldet sich die Ausnahmesaxofonistin nach acht Jahren zurück, mit einem Werk um Leben und Tod.

Auf Alt- und Sopransaxofon verfügt Carolyn Breuer über die seltene Gabe, mit wenigen Tönen viel zu sagen. Die große Melodikerin kocht auf Sparflamme, exerziert Jazz nicht als Powerplaystation, sondern zelebriert ihn als Kunst der feinen Nuancen. Nun legt sie, die „immer auf dem Weg zum Minimum erforderlicher Töne“ ist, ein opulentes Opus vor, das vor Klangfarbenreichtum und Besetzungsvielfalt strotzt. Die acht Kleinode, zwei pro Jahreszeit im Lebenszyklus des Menschen und der Natur, wurden mit der WDR Big Band, Mitgliedern des Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München und diversen Jazzgrößen eingespielt. Wie schon vor zehn Jahren bei „Serenade“ mit dem Concertgebouw Orchester, stellt man erstaunt fest, dass ihre feinsinnige Musik trotz der größeren Besetzung sogar noch intimer klingt. Es kommt nämlich nie ein Ton über ihre Lippen, den sie nicht fühlt und diese Aufrichtigkeit einer Frau, die auch im Gespräch kein Gefühl verbergen kann oder will, teilt sich jedem Hörer sofort mit.
Vor 10 Jahren, als sie aus Heimweh nach München zurückzog, sah die Welt für sie rosig aus: Die Komponistin erhielt als erste Jazzerin den Heidelberger Künstlerinnenpreis und mit „Serenade“ einen Plattenvertrag bei der BMG. „Drei Monate nach dem Erscheinen meiner CD wurde BMG von Sony übernommen und die gesamte Belegschaft meiner Abteilung entlassen. Kurze Zeit später wurde bei mir das Pfeiffersche Drüsenfieber diagnostiziert, das mich zwei Jahre mehr oder weniger flachlegte.“ Als ihre Krankheit überwunden war, starben ihre zwei Großmütter (einer von ihr verdanken wir ihre aus Kindheitstagen bewahrte Liebe zu Schubert, die sich auf dem Album niederschlägt). „Ein Jahr später brachte ich dann meinen Sohn auf die Welt, was mein Leben wiederum komplett auf den Kopf stellte. Die ersten zwei Jahre nach der Geburt habe ich gar nicht gespielt.
Ihrem Album „Four Seasons Of Life“ hat sich ihre intensive Beschäftigung mit dem Kreislauf des Lebens eingeschrieben. Es hebt an mit ihrer zärtlichen Bearbeitung des Andante con moto aus Schuberts 5. Sinfonie. „Für mich ist diese Melodie so schön, so zart und rein wie nur ein neugeborenes Wesen sein kann. Von dort spannt sich ein Bogen über die Jahreszeiten bis zum Tod. In ihrem „Wintered“ (einem Stück mit cineastischem Hitpotential) gibt sich die Familie ein Stelldichein, so genre- übergreifend wie die Talente verteilt sind. Ihr Vater, der Posaunist Hermann Breuer schrieb den Streichquartett-Background und trägt ein ausdrucksstarkes Solo bei. Ihr Freund, der Rockgitarrist, hat die nach fallenden Schneeflocken klingenden Töne der Akustikgitarren eingespielt. „Ich hatte ein Bild im Kopf von einem alten Mann, der nachts aus dem Fenster in ein Schneetreiben schaut und sein Leben in Gedanken noch einmal Revue passieren lässt. Da dachte ich, das Solo muss mein Vater spielen, der kann diese Stimmung am besten rüberbringen.“
Das Album ist auch ein Stück gelungener Trauerarbeit. „Ich war in der Entstehungsphase der CD oft sehr schwermütig. Ich wurde mir immer stärker der Endlichkeit des Lebens bewusst. Ich habe probiert, mit Menschen darüber zu reden, merkte aber, dass das ein Thema ist, über das man nicht redet. Stell Dir vor, Du fragst jemanden in der Kneipe: “Hallo ich bin die Carolyn! Wie findest Du es eigentlich, dass Du irgendwann sterben musst?“ Das geht nicht ... Das kann man nicht machen, aber ich hatte trotzdem ganz oft diese Gedanken. Und der Witz ist, dass mit dem Fertigstellen der CD diese Gedanken verschwunden sind. Die Leichtigkeit ist zurückgekommen.“

Four Seasons Of Life

Carolyn Breuer

NotNowMom Records

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Marcus A. Woelfle, 05.10.2013, RONDO Ausgabe 5 / 2013



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