Aus Dritte-Welt-Läden kennt man auch bei uns das »Daumenklavier« – ein beliebter Artikel, kann sich doch »jedes Kind« auf diesem Lamellofon ohne vorherige Übung durch Zupfen an den Metallzungen »Hänschen klein« zurechtfingern. Und dabei schaut die »Mbira« auch in ihren professionellen Ausführungen so aus, als könnte ein einigermaßen handwerklich begabter Mensch sie selbst basteln. In Simbabwe, wo sie von den Shona seit über 1.000 Jahren gespielt wird, ist sie kein Spielzeug, sondern eine Art Nationalinstrument, das bei Stammesriten wichtige Aufgaben erfüllt. Wer es spielt, ist ein von Ahnengeistern geschützter Auserwählter. Musiker und Hörer fallen beim Mbira-Spiel in Trance und man ist überzeugt, mit ihrem Klang Geister anlocken zu können, die man dann durch ein Medium um Rat fragen kann. Auch in profaner Umgebung bewahrt ihr Klang etwas Mystisches, etwa auf dem Album »Monoswezi« (Parallell, PA 008-2), wo Nqobile Khoza aus Simbabwe diesem Instrument bzw. der Marimba jene melodisch und rhythmisch ostinaten, »minimalistischen« Motive entlockt, die so leicht einen sanften Taumel im Hörer erwecken können. Der Name »Monoswezi« klingt Die Geister, die ich rief afrikanisch, ist es aber nicht, erklärt uns Hallvard Godal. Er ist der Leiter des Labels Parallell, und sein zart gepustetes Klarinettenspiel klingt ebenso meditativ, wie es von einer verhaltenen Bluesigkeit zeugt, während man seinem Saxofonspiel anhört, dass er mit Free Jazz groß geworden ist, ohne dabei stehen zu bleiben. Der Bandname stehe für »MOzambique, NOrway, SWEden, ZImbabwe«, den Heimatländern der Musiker. 2008 arbeitete Godal ein Jahr lang als Musiker und Musiklehrer in Maputo und tauchte dabei tief in die Musik Mosambiks ein. Dort traf er auch Xavier Tembe, der in diesem Album als ebenso hellhöriger wie fingerfertiger Trommler zu hören ist. Als dieser im Rahmen eines Austauschprogramms nach Norwegen kam, brachte er einen Kollegen mit: Nqobile Khoza (dessen Vorname auf der CD übrigens als »Nqoblie« vertippt ist) »brachte sein Instrument von Harare mit und ich verliebte mich vollkommen in die traditionelle Musik der Shona aus Zimbabwe«, so Hallvard Godal. Noch bevor die beiden Afrikaner in diesem Sommer in ihre Heimat zurück mussten, wurde in Oslo das klangfarblich reizvolle, traumwandlerisch sichere und erstaunlich homogene Zusammenspiel des internationalen Quintetts auf CD gebannt.
Kaum einer denkt an Tanzmusik, wenn er die Partiten für Solo-Violine hört, und doch griff Johann Sebastian Bach auf die gängigen Tanzsätze seiner Zeit zurück. Der Vergleich mag hochgegriffen erscheinen, und doch drängt er sich bei »Alde« (Heilo/Galileo Music HCD7259), dem ersten Soloalbum der norwegischen Geigerin Benedicte Maurseth, geradezu auf. Sie ist eine, wenn nicht die Spezialistin der altehrwürdigen, in der Volksmusik ihrer Geburtsregion verankerten Hardangerfiedel, einer mit zusätzlichen Resonanzsaiten ausgestatteten Geige, die auch solistisch gespielt zu besonderer Klangfülle fähig ist. Innovation ohne Verrat am Geist des Instrumentes, das scheint das Motto der Ausnahmegeigerin zu sein. Und dafür schaut sie janusköpfig in die Zukunft – und weit in die Vergangenheit. Sie hat im Bereich der Alten Musik gearbeitet, spielt auf Fiedeln aus dem 16. und 17. Jahrhundert, inklusive Darmsaiten und Barockbögen, ja hier auch auf einer Viola d’Amore, die ja wie die Hardingfele mitschwingende Saiten unter dem Griffbrett hat. Live hat man die Maurseth als richtigen »Spielmann« erlebt, der zu seinen heftigen Hupfaufs mit dem Fuß mitstampft. Dies geschieht auf diesem Album eher vereinzelt. Schon zu Beginn ihrer Laufbahn träumte sie davon, »aus allen alten Tanzstücken Hörstücke zu machen«. Tanzveranstaltungen waren weniger nach ihrem Geschmack, viel eher wollte sie »Klänge malen und kleine Gedichte spielen«. Das tut sie heute mit einer selten anzutreffenden Innigkeit, nicht nur in von ihr arrangierten Tanzstücken, die nun in sanft oszillierenden Miniaturen ihre klangliche Pracht entfalten, sondern auch in eigenen Kompositionen. Man könnte sie fast als neue Volksmusik bezeichnen, handelte es sich dabei nicht gelegentlich wie bei dem Titelstück »Alde«, einer Elegie von fast jenseitiger Schönheit, bei der übereinandergeschichtete Flageoletts zu orgelartigen Wirkungen anschwellen, um minimalistische Neue Musik. Der Dramatiker Jon Fosse, für den sie Bühnenmusik schrieb – das Repertoire dieser CD –, meint im Begleitheft, im Spiel der Hardangerfiedel seien die Toten anwesend, wie der Wind in den Blättern. Damit ist sie ja unerwartet eine Verwandte der Mbira.
Niemand zählt all die Diabatés, die als Griots zu musikalischem Ruhm gekommen sind. Im Nordwesten des Mande-Sprachgebietes sind die Mitglieder der Familie Diabaté (nomen est omen: »der Unwiderstehliche«) eher Kora-Spieler, im Südosten eher Balafonisten. In unseren Breiten kennt man vor allem den Kora-Virtuosen Toumani Diabaté, die Sängerin Sona Diabaté, und den in Österreich wirkenden Balafon- Spieler Mamadou Diabate aus Burkino Faso (der nicht mit dem gleichnamigen, etwa gleichaltrigen malischen Kora-Spieler verwechselt werden sollte). Nun hat der »österreichische« Diabate auf dem Label Extraplatte eine Serie über einzelne Angehörige der weitverzweigten Familie ins Leben gerufen. Auf »Mamadou Diabate presents: Tusia Fadenya. The Art of Daouda Diabate« (Extraplatte/Sunny Moon EX 880) erklingt das Balafon der Tusia in atemberaubender Virtuosität. Wir erleben hier Daouda als feurigen, sprudelnden Solisten, im Impetus ein Lionel Hampton Westafrikas, im Spiel zwei Balafon-Begleiter, von denen einer Mamadou selbst ist und einen Dindin- Trommler. Ihre Musik erzählt Geschichten über arbeitsscheue Drückeberger, über Kinder aus einflussreichen Familien, über das Heiraten und das Leben eines Verstorbenen – und zwar buchstäblich, handelt es sich doch um instrumental umgesetzte Worte, die Volksangehörige verstehen. Laut Mamadou glauben manche, sein Lehrer Daouda »sei einer der drei Buschgeister, die einer uralten Legende nach das Balafon der Menschheit geschenkt haben«.
Marcus A. Woelfle, 11.01.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2010
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Die Klavierkonzerte Nr. 11, 12 und 13 waren Mozarts erste Konzerte, die er nach seinem Umzug von Salzburg nach Wien komponierte. In einem Brief an seinen Vater Leopold beschrieb er sie als „ein glückliches Mittel zwischen zu leicht und zu schwer; sehr brillant, angenehm für das Ohr und natürlich, ohne fade zu sein“. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Mozart bereits von seinem dominanten Vater emanzipiert. Sein Ziel war es, mit diesen Stücken das Wiener Publikum zu erobern. Tatsächlich […] mehr