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N° 1354
20. - 29.04.2024

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am 27.04.2024



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Antoine Tamestit

Ein Kindheitstraum

Der Tag ist vom frühen Morgen bis zum Abend verplant, auch dieser. Konzerte und Aufnahmen drängen sich längst dicht an dicht, dazu der Unterricht in Köln, die Familie in Paris – man könnte dabei hektisch werden. Doch Antoine Tamestit ist die Ruhe selbst, er kommt mit einem freundlichen Lachen durch die Tür, bestellt einen schwarzen Tee, legt seine geliebte Stradivari neben sich auf die Bank und beginnt zu erzählen. Dass er sich einen langen Traum erfüllt habe mit der neuen CD und ihn die Cello-Suiten von Bach überhaupt erst zum Bratscher gemacht haben. Zehn Jahre war er damals, fast die Hälfte seines jungen Lebens hatte er nach allen Regeln der Kunst auf der Geige geschrubbt, bis er plötzlich diese Musik hörte. Vielleicht war es Paul Tortelier, der da spielte auf der Schallplatte der Eltern, sicher ist er nicht. Aber er weiß noch ganz genau, dass er diese Suiten auch spielen wollte. Das Cello hat ihm die Lehrerin gerade noch ausreden können und ihm einen Kompromiss vorgeschlagen: die Bratsche.
Kompromiss? Von wegen! Man muss Tamestits Worten gar nicht glauben, man muss nur diese neue Aufnahme hören. Wenn der 33-jährige Franzose den Bogen auf sein Instrument setzt, klingt das Beste beider Welten: Vom Cello borgt er die dunklen Farben, die Schatten, das Volumen, von der Geige den Gesang, das Flinke und Leichte. Tamestits Bach ist standhaft und hat doch Grazie, er lädt zum Tanz und dreht bisweilen Pirouetten, bei denen man ihm zu Fuß nicht mehr folgen könnte. Die Gigue sei zu Bachs Zeiten ja längst eine übermütige Fiddle-Musik gewesen, während die Sarabande sich in die andere Richtung entwickelt habe und immer gemächlicher geworden sei. Tamestit hat Mattheson gelesen und manches mehr, er ist als Kind aufgewachsen mitten in Musik und doch auch umgeben von Büchern.
Ein zweiter Teil mit den restlichen drei Suiten soll folgen, sobald er eine Lösung gefunden hat für das ewige Problem mit der Nummer 6. Fünf Saiten bräuchte man dafür. Soll er die Suite in eine andere Tonart transponieren? Oder gar spielen auf einer alten Viola pomposa? Heute wird er keine Entscheidung mehr fällen. Die Studenten warten schon ...

Johann Sebastian Bach

Suiten für Violoncello (arr. für Bratsche)

Antoine Tamestit

naïve

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Raoul Mörchen, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2013



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