home

N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Eros und Musik

Im Himmelskleid

Ist Musik erotisch? Kann oder muss Musik erotisch sein? Fragen von Herbert Rosendorfer …

Picasso hat einmal gesagt, dass jede Kunst erotisch ist, hat dabei aber doch wohl bloß die bildende Kunst gemeint, und wenn man sich die Menge der erotischen und sogar hoch- und höchsterotischen Aktzeichnungen Picassos vergegenwärtigt, hat der Meister einiges an Argumenten für seine Behauptung geliefert. Aber die Musik? »Die Musik ist eine heilige Kunst«, heißt es in Strauss’ und Hofmannsthals »Ariadne «. Wie heilig? Es gab vor vielen Jahren eine Cellistin, die spielte nackt bei einer Performance eine Bachsuite (oder einen Satz davon). Das galt ernsten Musikfreunden als Entweihung, lief allerdings ohnehin eher unter Kunst-Aktion, ungefähr gleichwertig wie Joseph Beuys’ äpfelndes Pferd bei einer seiner Kunstausübungen.
Neuerdings sind aber im Film und auch bei lebenden Veranstaltungen (so übersetze ich »live«) nackte Cellistinnen aufgetaucht. Warum nur Cellistinnen? Vielleicht weil dieses Instrument, vor den Leib gehalten, die anstößigsten Teile verdeckt. Aber auch dies weist mehr in das Genre des Juxes und ist in der wahren Musikwelt unbeachtet. Dabei spreche ich von der Welt der sogenannten klassischen oder E-Musik. In der U-Musik hat die Erotik einen ganz anderen Stellenwert, der hier nicht untersucht werden soll, weil rein kommerzabhängig.
Dann kam Anne-Sophie Mutter. Sie brach den bis dahin von Mirella Freni gehaltenen Tiefenrekord in der Sparte Dekolleté. Ohne Zweifel eine der besten Geigerinnen unserer Zeit, aber dennoch brachte ihr Auftritt immer auch die zusätzliche Spannung mit sich: »Hält das Trägerlose oder hält es nicht?« Dazu kommt, dass die Sängerinnen und Instrumentalistinnen immer schöner werden. Eine Renée Fleming oder eine Simone Kermes könnten jeden Schönheitswettbewerb bestehen, auch wenn sie nicht den Mund aufmachen. Auf den Plattenhüllen wagen sich die Damen schon weiter vor. Das, wie man heute sagt, »Outfit« der barfüßigen, in tief klaffendem Hosenanzug sich auf dem CD-Cover darbietenden Janine Jansen berechtigt zu schönsten Hoffnungen, und ein Damen-Streichquartett präsentierte sich auf ihrer CD, wenngleich (noch?) züchtig hintereinander und durch die Instrumente verdeckt, splitternackt. Leider ist mir der Name dieses Quartetts nicht mehr geläufig, ich habe aber das ansprechende »Cover« deutlich vor Augen. (Erinnert sich vielleicht ein Leser?)
Ich war einmal einer Pianistin stark angenähert, die gleichzeitig ein begabtes Aktmodell war. Wenn es nach dem Zeichnen wieder ans Klavier ging, zog sie sich immer an. Warum? »Musik ist doch etwas Anderes.« Ich konnte sie dann überreden, sich so ans Klavier zu setzen, wie sie Modell stand. Sie spielte und war hingerissen, sie merke jetzt, sagte sie, welch hocherotischer Zug in Chopins Préludes liegen.
Richard Wagner ist als Komponist, was seine Bedeutung nicht mindert, umstritten, als Textdichter und Weltanschauer unter Durchschnitt, als »Womanizer« aber unbestreitbar höchste Spitze. Und er hat sehr wohl von der Erotik in der Musik und der Erotik der Musik gewusst. Die Sängerin der Kundry, hat er gemeint, müsse eigentlich nackt auftreten und singen. Nicht nur die doppelmoralischen Zeitumstände hätten das verhindert, sondern wohl auch die schon lang bigott gewordene Cosima. Könnte man heute diese zweifellos authentische Anregung des Meisters nicht verwirklichen? Schade, dass die dafür Geeignetste, Anna Netrebko, stimmlich nicht vom Fach ist.
Aber für sie wäre eine vergessene, seinerzeit erfolglose Oper Ermanno Wolf-Ferraris das Gegebene: »Das Himmelskleid«. Was ein solches ist, weiß die Netrebko, wie man sehen konnte. So warten wir also bis die, auf dem Cover ihrer Händel- CD nicht nur engelsgleich aussehende, sondern auch, wie man dann auf der CD hören kann, ebenso singende Nuria Rial nur mit Engelsflügeln und vielleicht geschmackssicheren Schuhen geschmückt auftritt und damit das Tor zur Erkenntnis weit aufstößt, dass Musica und Eros nahe verwandt, ja vielleicht Zwillinge sind.

Herbert Rosendorfer, 08.02.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2010



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Musikstadt

Prag

Drei Opern, vier Orchester, Konzertsäle mit Historismus-Üppigkeit oder Landhauscharakter – Prag […]
zum Artikel

Gefragt

Bruce Liu

Das Leben in Wellen

Der Pianist spricht über sein Album „Waves“, ein Leben nach dem Chopin-Wettbewerb – und den […]
zum Artikel

Pasticcio

Leipzigs dunkle Jahre

Meldungen und Meinungen der Musikwelt

Eine Karikatur eines schwarzen Saxofonisten mit Zylinder und Judenstern am Revers prankte 1938 auf […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


Abo

Top