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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Herbert Feuerstein

Ernsthaftigkeit kommt immer an

Herbert Feuerstein wurde als TV-Partner von Harald Schmidt (»Pssst…«, »Schmidteinander«) bekannt. Der ausgebildete Musiker arbeitete zuvor als Zeitungsredakteur in New York, als Mitarbeiter der Satirezeitschrift »Pardon« und als langjähriger Chef des »Mad«-Magazins. Beim Berliner Rundfunk- Sinfonieorchester reüssiert er seit Kurzem mit seiner Veranstaltung »Feuerstein führt Klassik ein«. Robert Fraunholzer sprach mit ihm über Klassik, Karajan und die Liebe zur Verarschung …

RONDO: Herr Feuerstein, klassische Musik und Komik, wie geht das zusammen? Herbert

Feuerstein: In meinem Leben passt gar nichts zusammen. Das geht schon mit der Geburt los. Ich könnte mich an keine klare Linie erinnern, die ich in meinem Leben einhalten wollte. Mit Ausnahme der Tatsache, dass ich in Salzburg nur die Wahl zwischen Musik und der Theologischen Fakultät hatte. Ich wäre gern Papst geworden. Nur die großen Wunder sind ja alle schon vollbracht. Also habe ich mich für die Musik entschieden.

RONDO: Sie waren 20 Jahre lang Chefredakteur von »Mad«. Im Grunde Ihr Lebenswerk?

Feuerstein: Ja, »Mad« war mein Hauptbeitrag für die Infektion der Leute mit dem Virus der Verarschung. Noch heute werde ich mit den Reaktionen ehemaliger Leser konfrontiert, die mir sagen: »Du hast mich in die Arme des Wahnsinns getrieben.« Übrigens bestanden diese Leser hauptsächlich aus Gymnasiasten. Viele Jungs, kaum Mädchen. Ich behaupte, »Mad« hatte einen Bildungsanspruch.

RONDO: Wie bitte?

Feuerstein: Das Heft bot zwar keine politische, aber eine weltanschauliche Satire mit der Botschaft: »Die Welt ist blöd, aber du auch.« Beginne mit den Zweifeln bei dir selber. In einem Alter zwischen elf und 18 Jahren war das etwas, was Mitdenken erfordert. Ich kann mit Stolz sagen, wir hatten eine Auflage, die so hoch war wie diejenige aller anderen europäischen Lizenzausgaben zusammen.

RONDO: Wie kamen Sie zur Klassik?

Feuerstein: Als Jugendlicher in Salzburg bin ich immer ausgebüchst. Schon als Zehnjähriger ins Theater. Dort waren Festspiele. Ich kann mich gut an die Generalprobe zur Uraufführung der »Liebe der Danae« von Richard Strauss erinnern. Ich habe auch noch Strawinski dirigieren sehen. Als ich das erste Mal Glenn Gould im Konzert erlebte, hat mir das einen Ruck gegeben. Ich dachte: Zertrümmer dein Klavier!

RONDO: Eigentlich war Cembalo Ihr Instrument.

Feuerstein: Ja, doch mir war bald klar, dass ich an Wanda Landowska nicht herankommen würde. Ich hab dann geblufft und mich auf extrem moderne Sachen verlegt. Da kann man leichter mogeln. Ich war damals auf einer sehr abstrakten, theoretischen Ebene und bin zu Luigi Nono, Luciano Berio und John Cage nach Kranichstein gepilgert. Das waren meine Götter. Man hat 14 Tage lang experimentiert, um sieben Minuten Musik herauszubekommen. Mein Lehrer Kurt Leimer hat mich dann rundheraus ermutigt: »Lass doch die Töne da weg, das hat der Horowitz auch getan.« Ich kann offen und ehrlich sagen: Ich habe gemogelt.

RONDO: Bernhard Paumgartner, der die Musikerkarriere Herbert von Karajans angestoßen hat, veranlasste Sie zum Abbruch des Studiums. Verdienstvoll?

Feuerstein: Es hat Sinn gemacht. Übrigens war der Vater Karajans zugleich der Gynäkologe meiner Mutter. Karajan selber ist auch mal aufgetaucht. Als ich in New York lebte, kam plötzlich ein Telegramm von ihm. Ich sollte mich als Nachfolger des legendären André von Mattoni als Adlatus bei ihm bewerben. Es ist daran gescheitert, dass mein Französisch nicht ausgereicht hat. Um ein Haar wäre ich Privatsekretär Karajans geworden.

RONDO: Sie treten heute oft in Konzerten auf, zum Beispiel vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Wirken Sie dort als Entkrampfer?

Feuerstein: Ich habe dort eher eine Erzählerrolle. Ich mache auf Laienebene das, was Leonard Bernstein professionell getan hat. Ich erkläre komplexe Posaunenstellen oder Bachs »Musikalisches Opfer« in der Instrumentierung von Anton von Webern. Ich versuche esoterische Höhen zu verlassen, ohne plump zu werden. Überfordern darf man ja. Oder ich erzähle im »Sommernachtstraum« zwischendurch die Shakespeare-Geschichte. Man erwartet von mir, ein neues Publikum ranzuziehen, als Cross-over-Mensch. Mein leuchtendes Vorbild ist Peter Ustinov.

RONDO: Und haben Sie Erfolg?

Feuerstein: Ich bin gar nicht mehr so pessimistisch. Seit die Schulen doof genug sind, ihren Musikunterricht abzuspecken, haben die anderen gemerkt: Da ist was zu holen. Ich glaube an keinen Publikumsschwund. Ich bemerke, dass das Publikum gar keinen Klamauk erwartet. Ernsthaftigkeit kommt immer an. Nur: Wenn man gleich mit der Regietheater-Tür ins Haus fällt, verwirrt das eher. Ich bin für traditionelle Ausgangserlebnisse.

RONDO: Sie gelten als Nihilist. Warum sind Komiker immer so depressiv?

Feuerstein: Weil Depressive keine andere Chance haben als diejenige, komisch zu werden. Ich quäle mich ab mit meinem Leben. Ich bin belastet mit den genetischen Verwerfungen des Österreichertums. Die Todesnähe und das Hadern mit allem sind so enorm, dass sich die Dämonen angeekelt wieder von mir abwenden. Wenn man in Salzburg ständig an Mozarts Geburtshaus vorbeigeht, muss man wahrscheinlich schwermütig werden. Thomas Bernhard war ein Studienkollege von mir. Niemand mochte ihn. Ich auch nicht. Wäre ich Opportunist, würde ich mir deswegen in den Arsch beißen.

RONDO: Tun Sie nicht?

Feuerstein: Nein. Aber ich bin Soziopath und habe keinerlei Freundeskreis. So wie Woody Allen. Thomas Bernhard war noch ein viel größerer Isolationist. Es war übrigens schwer für ihn damals, denn er war sehr arm. Er hat sich dann angebiedert an Leute, die wir nicht mochten. An Sponsoren, die er dann später mit Hass überschüttet hat. Wir haben viel Blödsinn gemeinsam gemacht. Er sang gerne nachts, trank auch manchmal gern Alkohol. Bernhard konnte im Falsett singen. Er war Countertenor, ohne es zu wissen. Auf der Staatsbrücke in Salzburg hat er einmal nachts die Rache- Arie der Königin der Nacht laut gesungen, bis man drohte, ihn festzunehmen. Da hat er dem Polizisten gesagt: »Dass man in Salzburg nicht einmal Mozart singen darf, wär’ ja wohl noch schöner!« Damit ist er davongekommen.

RONDO: Treffen Sie sich in Ihren musikalischen Vorlieben mit Harald Schmidt?

Feuerstein: Ich wundere mich, was aus ihm geworden ist (lacht). Nein, wir haben uns privat nie getroffen. Die Medienleute sind alle so sehr mit der eigenen Karriere beschäftigt. Man lauert, was kommt, um es anzunehmen. Mein Leben dagegen hat sich alle sieben, acht Jahre komplett verändert. Jetzt, wo ich die Musik entdeckt habe, ist das Feld so weit und reich geworden, dass ich mein Leben ganz anders sehe. Ich bin jetzt 72. Meine Ziele, merke ich, rücken ferner.

Robert Fraunholzer, 22.02.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2009



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