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Nie gehört, werden etliche darauf sagen. Trotzdem landete David Fray, geboren 1981 in Tarbes (in den Pyrenäen) und ausgebildet von Jacques Rouvier (dem Lehrer Hélène Grimauds), mit nur einem Bachalbum dort, wo andere erst nach 20 Jahren ankommen: im Olymp. Bachs Klavierkonzerte, zu den schönsten und undankbarsten Aufgaben der Klavierliteratur zählend, verwandelte er in Erzählungen von so köstlich leuchtender Gesanglichkeit, dass man der CD mit der Kammerphilharmonie Bremen ein Prädikat jedenfalls nicht absprechen kann: unwiderstehlich. Leichtfüßig und von unnachgiebiger Gedankenschärfe, klar und klangrund präsentierte Fray hier ein Repertoire, an dem selbst Glenn Gould fast gescheitert war. Sonst rattert das Klavier hier meist maschinell mit. Bei Fray hingegen erschienen diese Meisterwerke nicht mehr indifferent, was das Verhältnis von Solist und Orchester anbetrifft, sondern als brillante, nie oberflächliche Bravour und präromantische Virtuosenstücke. Sie offenbarten Lyrik und eine Leichtigkeit des Seins, wie das Klischee sie so tatsächlich nur bei einem Franzosen erwarten lässt.
Der Jüngling mit der Schmalzlocke, dessen zartgliedrige Hände, sagen wir: bei der Toccata von Robert Schumann vermutlich überfordert wären, erscheint schlurfend, müde und ungekämmt zum Gespräch. Allerdings superpünktlich und begierig lossprudelnd. Er sei froh, für die Dogmen der historischen Aufführungspraxis zu spät geboren worden zu sein, scherzt er. Heute gehe alles durchaus entspannter zu. Er schwärmt von der belcantesken, klaräugigen Eleganz seines deutschen Vorbilds Wilhelm Kempff. Und beklagt den ständigen Vergleich seiner eigenen Person mit Glenn Gould (der durch ein Fray gewidmetes Filmporträt von Bruno Monsaingeon unnötig neuen Auftrieb erhielt). Im Konzert danach legt er Schubert zarte Fesseln an. Huster im Publikum werden mit tödlichen Blicken bedacht. Und anschließend über Lautsprecher mit deutlichen Worten ermahnt! Der Schwiegersohn von Riccardo Muti (Fray heiratete 2008 dessen Tochter, die Schauspielerin Chiara Muti) kultiviert ein Image von gestrenger Exzentrizität. Dabei ist er in Wirklichkeit ein nettes, bescheiden auftretendes Arbeitstier. Und blutiger Perfektionist. Als wir uns einige Zeit später in Berlin, wo er seine neue Schubert-CD aufgenommen hat, zum Kaffee verabreden, lässt er vergeblich auf sich warten. Unter tausend Entschuldigungen teilt er anschließend telefonisch mit, er sei vor Erschöpfung auf dem Bett eingeschlafen. Das Hoteltelefon habe er überhört.
Auf seiner zweiten CD porträtiert David Fray die Moments musicaux D. 780 von Franz Schubert als lyrisch geschliffene, pittoresk tiefsinnige Miniaturen. Den Impromptus D. 899 gibt er den Anschein von chopinesken Meditationen. Keine Frage, dass dieser Publikumsliebling den Nimbus des Solitärs und Eigenbrödlers mit Macht bewahren will. Die Mischungsverhältnisse seiner Familie (der Vater Philosoph, die Mutter Lehrerin mit tschechisch-polnisch-finnischem Hintergrund) scheinen sich in ihm verkantet und explosiv verdichtet zu haben. Als er einst einen Meisterkurs bei dem legendären russischen Klaviercoach Dmitri Bashkirov belegte, sagte der ihm: »Bellen Sie wie ein großer Hund!« Das sei ein Befreiungsschlag für ihn gewesen, sagt Fray. Er ließ die Haare windhundhaft wachsen. Und bewegt sich seitdem noch eleganter über die Tasten. Doch bellen hat er immer noch nicht gelernt.
Robert Fraunholzer, 08.03.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2009
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