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RONDO: Wieso saßen Sie damals mitten im Publikum? Die Philharmonie hat doch ein Aufnahmestudio samt Sprecherkabine ...
Norbert Ely: Ich weiß es bis heute nicht. Vermutlich waren die Studios von irgendwelchen einflussreichen Leuten, von Produzenten und Managern schon besetzt ...
RONDO: Und die Leute neben ihnen?
Ely: Die waren schon etwas verwundert. Ich habe mich aber im Tonfall der Situation angepasst, so etwa wie beim Pferdesport – da wird ja auch in betont ruhigen und gewählten Worten berichtet. Ich habe später noch gelegentlich, wenn es nicht anders ging, direkt aus dem Publikum von Konzerten berichtet. Ich bin von Haus aus Reporter und war diese Form der Berichterstattung damals gewohnt – zum Beispiel augenblicklich einen Satz zu beenden, wenn der Applaus aufhört.
RONDO: Wie ist es denn damals überhaupt zu dem Konzert in Berlin gekommen?
Ely: Elmar Weingarten, der damals für die Kammermusik während der Berliner Festwochen zuständig war, hatte vom Intendanten den Auftrag bekommen, Horowitz zu holen – was in etwa so war, als hätte er von ihm verlangt, mit der Lufthansa zum Mond zu fliegen. Die Antwort des Managements lautete zunächst denn auch: »He will never come to Germany.« Horowitz hat dann aber im Zuge seiner Konzertreise in die UdSSR persönlich entschieden, anschließend auch in Deutschland zu spielen, zunächst in Hamburg und eine Woche später in Berlin, im Rahmen der Festwochen. Dieser Entschluss kam für uns allerdings sehr überraschend – so überraschend, dass ich meinen Urlaub kurzfristig für die Reportage verschieben musste.
RONDO: Horowitz war informiert über die Übertragung?
Ely: Ja. Wir vom SFB waren auch schon bei den Proben dabei, die er übrigens nicht nur wünschte, sondern auch dringend brauchte. Ganz offensichtlich war es sehr aufregend für ihn, nach so vielen Jahrzehnten wieder in Berlin zu sein. Er kannte natürlich den Saal nicht. Aber er war sehr angetan davon, wie die Philharmonie akustisch auf sein Spiel reagierte. Als er uns dann irgendwann im Halbdunkel erblickte, fragte er ziemlich unwirsch: »Who are these people there?« Doch er hat dann eingesehen, dass wir uns vorab ja informieren mussten, was uns bei der Übertragung erwarten würde. Gewundert hat er sich übrigens beim Konzert über das Publikum: Da saßen in den ersten Reihen, anders als in New York oder London, nicht die Reichen oder Adligen, sondern zum Teil recht junge Musikfans in normalen Pullovern. Das hat ihm gefallen, dass die gekommen waren, weil sie ihn hören wollten und nicht aus irgendwelchen gesellschaftlichen Motiven. So war es vermutlich zuvor auch in Moskau und Sankt Petersburg gewesen. Darum hat er dann wohl wiederum ganz spontan sich entschlossen, eine Woche später in Berlin ein Zusatzkonzert zu geben.
RONDO: Die schlechte Laune von Horowitz hat sich also schnell wieder gelegt?
Ely: Ja. Im Konzert war er ganz Profi . Und obwohl ich sagen muss, dass ich nie ein großer Horowitzfan gewesen bin, so hat mich sein Spiel doch immer berührt – gerade auch das Konzert damals in Berlin. Das hat mich innerlich sogar so aufgewühlt wie kein anderes, das ich in meinem Leben gehört habe – ich habe ihm sehr viel zu verdanken.
RONDO: Man wundert sich ja eigentlich, dass Horowitz, der für seine Anlaufschwierigkeiten und Aussetzer berühmt war, überhaupt einer Liveübertragung zugestimmt hat.
Ely: Da mag auch das Geld eine Rolle gespielt haben. Aber er war an diesem Abend gleich mit der ersten Sonate von Scarlatti ganz da. Es lag so viel Poesie und Zauber darin, dass er selbst wohl merkte: Er ist in der Philharmonie angekommen. Schwierigkeiten hatte er mit Chopin, grandios fand ich Skrjabin und Rachmaninow. Skrjabin vor allem. Der war so zerrissen, wie Horowitz selbst es war.
Raoul Mörchen, 15.03.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2009
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