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»Viele Dinge sind passiert, als ob sie so sein müssten«, sinniert Julia Moretti. Dabei dürften schon ein paar Zufälle daran mitgewirkt haben, dass die aus Tirol stammende Oboistin nun zusammen mit dem in Kiew geborenen Geiger Ilia Korol vor uns sitzt, um mit ihm von einem königlich preußischen Konzertmeister namens Johann Gottlieb Graun zu schwärmen. Dessen Konzerte haben sie nämlich just mit ihrem Orchester moderntimes_ 1800 eingespielt. Verantwortlich für das ungewöhnliche Zusammentreffen war natürlich – die Liebe. Sie führte nicht nur den impulsiven Geiger und die umsichtige Oboistin zusammen, sondern weckte in den beiden klassisch ausgebildeten Musikern auch noch ein leidenschaftliches Interesse für die Aufführungspraxis des 18. Jahrhunderts. Eine Leidenschaft, die die beiden zunächst nur im Verborgenen ausleben konnten: »Heimlich«, verrät Moretti, habe sie neben ihrem klassischen Unterricht Barockoboe gelernt – schließlich sei ihr ursprünglicher Lehrer den »Strumpfsockerten« mit ihren historischen Instrumenten gar nicht wohl gesonnen gewesen.
Auch Ilia Korol, der zur gleichen Zeit im fernen Moskau studierte, ist überzeugt: »Wenn eine meiner Lehrerinnen am Moskauer Konservatorium gehört hätte, wie ich Bach übte, dann hätte sie mich auf der Stelle gekreuzigt.« Heute sind es nicht mehr die Lehrer, die Korol und Moretti mit ihren musikalischen Einsichten konfrontieren wollen, sondern das Publikum. Statt es sich in der Alte-Musik-Nische bequem zu machen, gründeten sie ein Orchester, das wie sie in der Lage sein sollte, alte Musik auf historischen und neuere Musik auf modernen Instrumenten zu spielen. Weil Korol und Moretti glauben, dass Modernität sich nicht am absoluten Alter einer Komposition festmachen lässt, sondern eine Haltung bezeichnet, tauften sie ihr Ensemble moderntimes_1800. Unterstützt von der Dramaturgin Veronika Zimmermann entwarfen sie fortan nicht nur ungewöhnliche, Zeiten und Genres übergreifende Konzerte und Musiktheaterprogramme, sondern entdeckten auch immer wieder unbekannte Komponisten neu – so wie etwa Graun, den Konzertmeister Friedrichs des Großen. Und dann beginnt Korol von Grauns Witz, Menschlichkeit, seinen innigen Kantilenen sowie der inneren Logik seiner Virtuosität zu schwärmen, als habe er selbst bei ihm gelernt.
Carsten Niemann, 15.03.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2009
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