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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Joyce DiDonato

Der pure Wahnsinn

In der amerikanischen Mezzosopranistin mit ita-lienischem Namen ist endlich wieder eine Sängerin zu bestaunen, deren Repertoire die gewohnten Grenzen locker überschreitet. Sie beherrscht den Stile Belcanto ebenso gut wie die barocke Affektsprache und das klassische Repertoire. Jürgen Otten reiste nach Brüssel und traf dort im Théâtre de la Monnaie eine große Operndiva, der so gar nichts Primadonnenmäßiges anhaftet.

Heuchlerischer, falscher, heimtückischer Don Juan, den wir von nun an lieber Hercules und einen absolut barbarischen Charakter in einer absolut fantastischen Oper nennen wollen, hat sich abgewandt. Und so bleibt Dejanira nichts übrig, als ihr Leid in die Welt zu entsenden. Ein Glück für uns, dass ihr Schöpfer, Georg Friedrich Händel sein Name, dieses in einer Art und Weise tat, die nicht anders als himmlisch zu nennen ist: Die Arie »Cease, ruler of the day, to rise« aus »Hercules« zählt zum Eindringlichsten und Anrührendsten, was die Gattung Oper zum Thema »Wahnsinn« zu bieten hat. Ein weiteres Glück: Händel hat im Hier und Heute eine Stimme dafür gefunden, deren Ausdrucksvermögen so enorm ist, dass man geneigt ist, davor in die Knie zu gehen. An diesem Abend im altehrwürdigen Théâtre Royal de la Monnaie zu Brüssel steht sie auf der Bühne, die Dame, die zu dieser Stimme gehört, umringt von den hochmögenden Musikern des Ensembles Les Talens Lyriques und ihrem Dirigenten Christophe Rousset, und singt dieses göttliche Stück Musik. Es ist der pure Wahnsinn.
Joyce DiDonato heißt die Dame mit bürgerlichem Namen. Was nicht wirklich stimmt, denn sie hat den Namen nach einer Scheidung von einem aus Italien stammenden Mann vor Jahren behalten, weil er so schön klingt. Wichtiger ist aber, dass mit der amerikanischen Mezzosopranistin endlich wieder eine Sängerin zu bestaunen ist, deren Repertoire die gewohnten Grenzen locker überschreitet. Joyce DiDonato beherrscht den Stile Belcanto, insbesondere die Partien von Rossini, ebenso gut wie die barocke Affektsprache, und sie vermag einer Partie von Mozart das gleiche Charisma einzuhauchen wie einem Lied von Granados, Turina oder de Falla. Kurzum: ein Multitalent. Wobei Talent vielleicht nicht mehr der richtige Ausdruck ist. Denn längst hat die Lady aus Kansas City/Missouri (die sich zu dieser Midwest-Herkunft in einer Mischung aus echt empfundener Heimatliebe und Selbstironie bekennt) auf den Opernbühnen der Welt ihr enormes sängerisches und dramatisches Potenzial bewiesen.
Auch im Gespräch ist das nicht anders. Joyce DiDonato liebt das Unkomplizierte. Sie wiegt nicht den Kopf, wenn sie eine Antwort gibt, damit man auf die Idee verfallen könnte, man habe eine sinnierende Diva vor sich. Da ist nichts Verrätseltes, Aufgebauschtes, gar Obskur-Artifizielles, da ist nur das im romantischen Sinn naive Empfinden, dass Musik dazu da ist, Welt zu übersetzen, das Gewicht der Welt ebenso wie die Gefühle, die Leidenschaften und Hoffnungen darin. Es ist etwas Unbekümmertes in der Art und Weise, wie Joyce DiDonato die Angelegenheiten der Kunst betrachtet. Wenn man sie beispielsweise nach den Gründen für ihre über die (Opern-)Maßen ausgeprägten schauspielerischen Fähigkeiten fragt, dann erfährt man nur, dass sie das Spielen immer geliebt, aber nie darüber nachgedacht hat, »was ich wie tun musste. Ich spielte einfach. Und noch heute denke ich nicht über wie auch immer geartete Technik des Spielens nach.« Anders steht es diesbezüglich mit dem Singen. Das hat sie lernen müssen, nicht alles gibt der Herr im Schlaf. Zwar sei die Musik für sie stets natürlich gewesen, nicht aber der Akt des Singens. »Das musste ich lernen. Doch jetzt fühlt es sich natürlich an.« Und großartig, wenn man es hört.

Neu erschienen:

Händel

Furore - Opernarien

Joyce DiDonato, Les Talens Lyriques, Christophe Rousset

Virgin Classics/EMI

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Jürgen Otten, 19.04.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2008



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