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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Thomas Quasthoff Meets Max Raabe

Das Ende vom Lied

Gewichtig stand die Frage im Raum: Warum hat es der Liedgesang heutzutage so schwer? Die Antworten aber kamen leicht. Zumal sich der Bassbariton Thomas Quasthoff nicht den Fragen eines neugierigen Journalisten stellte, sondern selbst ins Gespräch trat mit einem Kollegen eines ganz anderen musikalischen Genres: dem Revuebeau und Chansonnier Max Raabe. Also traf man sich in Quasthoffs Berliner Wohnzimmer – und nur RONDO-Mitarbeiter Michael Horst durfte lauschen …

Quasthoff: Wir beide gehören ja glücklicherweise zu den Protagonisten, bei denen die Bude immer noch voll ist. Allerdings trauen sich kleinere Veranstalter kaum noch, Liederabende zu veranstalten, weil die Leute wegbleiben. Es gibt leider auch zu viele Protagonisten, die von der Oper kommen und die dann die Lieder mit einem Pathos singen, das schlicht und ergreifend deplatziert ist. Das ist genauso, als ob Du Brecht mit einer Opernstimme singen würdest, das haut auch nicht hin.

Raabe: Das würde auf jeden Fall den Charme zerstören. Wie überhaupt ganz oft viel zu laut gesungen wird. Das sind sicher zwei verschiedene Probleme. Zum einen gibt es wenig Sänger, die wirklich die Sensibilität für den Liedgesang besitzen. Die meisten benutzen das Lied eher, um noch ein Standbein neben der Oper zu haben. Zum anderen haben wir aber die Tatsache, dass viele Menschen gar nicht mehr wissen, dass man in einer kleinen, feinen Form eine ganze Geschichte erzählen kann, dass vielen die Vertrautheit zum Lied einfach fehlt. Dafür ist es in der Grundschule meist schon zu spät, man müsste eigentlich in den Kindergarten gehen. Dort werden doch ganz grausame Kinderlieder gesungen, also nicht grausam im Sinne von »Max und Moritz«, sondern innerlich hohl – und musikalisch noch hohler. Das setzt sich ja bis ins Kirchenlied fort ...

Quasthoff: (singt salbungsvoll) »Danke für diesen guten Morgen ...«

Raabe: Das geht ja noch. Ich war Ostern in der Kirche, und da wurde das Sanctus so gesungen, dass es wie eine Lagerfeuermelodie klang. Es gibt gar keinen Urinstinkt mehr für den Gehalt von Musik. Früher hätte auch kein Mensch im Konzert vor der Tonika geklatscht!

Quasthoff: Faszinierend ist doch, dass auch in Deiner Kunstform die leisesten Stellen die besten sind. Am Sonntag habe ich mit Daniel Barenboim die »Schöne Müllerin« in der Lindenoper gemacht, eine Matinee, es war so voll, dass die Leute sogar auf der Bühne saßen. Ich habe mich getraut, extrem leise zu singen – und das erzeugt eine Spannung, die sich auch auf das Publikum überträgt: Da traut sich keiner zu husten, so wie zum Beispiel in New York. Ich glaube im Übrigen, dass die Zeiten vorbei sind, wo es nur um das Schönsingen geht. Uns sollte vielmehr auch daran gelegen sein, Farbe zu kreieren. Es hat mich richtig umgehauen, als ich Dich das erste Mal gehört habe. Da habe ich mich gefragt: Was macht der da alles mit seiner Stimme! Das klingt genau wie die Zwanzigerjahre, hat aber trotzdem so viel Eigenes in den Klangfarben, das ist einfach irre!

Raabe: Man hat natürlich auch ein gespaltenes Verhältnis zum Volkslied wegen unserer bösen Vergangenheit, aber das hat sich jetzt langsam erledigt. Man sollte sich nicht die ganze Tradition von vor 1933 zerstören lassen, nur weil nach 1933 viel zertreten worden ist.

Quasthoff: Ich glaube, dieser ganze Kulturzweig ist weggebrochen, weil auch zu Hause nicht mehr gesungen wurde.

Raabe: Was die Schweden allein an Trinkliedern haben, aber nicht nach dem Motto »Hoch die Tassen und weg damit«, sondern beinahe philosophisch, also: »Ich bin ein kleiner Marienkäfer und zähle meine Punkte«, das ist wirklich charmant. Und was haben wir??

Quasthoff: (grölt) »Hoch auf dem gelben Waaagen ...«

Raabe: Der Wunsch, so was gemeinsam zu machen, ist ja da. Das sieht man im Fußballstadion.

Quasthoff: Wir haben natürlich nach dem Krieg auch Protagonisten gehabt, die das sogenannte Liedgut auf einen Sockel gehoben haben, auf den es meiner Meinung nach nicht gehört. Da kam ja von der Bühne her schon eine Stimmung, dass man sogar Angst hatte, sich am Ohr zu kraulen. Fischer-Dieskau hat den Liedgesang auf ein enormes Level gehoben und in vielen Punkten entstaubt und vom Pathos befreit, aber auf der anderen Seite war da auch diese rein intellektuelle Durchdringung. Es war auf einmal nicht mehr Lied, sondern Kunstlied, und es bekam so einen Geruch von – mit Verlaub – melodiösem Sagrotanspray. Das hat über lange Jahre dafür gesorgt, dass viele Menschen auch Angst davor hatten, in solche Konzerte zu gehen.

Raabe: Kennst Du die Aufnahme mit Karl Schmitt- Walter und der »Winterreise«? Der singt das so, wie ich ein leises Stück mit Klavier singen würde, von Werner Richard Heymann oder Robert Gilbert, fast wie ein Chanson oder wie ein Schlager, ohne dass ich das despektierlich meine.

Quasthoff: Was wir unbedingt noch erwähnen müssen: Wir planen für 2010 ein Programm mit Angela Winkler, Udo Samel, Max Raabe und meiner Wenigkeit, mit alten deutschen Volksliedern. Ich habe mir schon dicke Schinken besorgt, die ich jetzt durchwälzen will. Wir müssen dann auch mal überlegen, ob wir klassische Lieder mit hineinnehmen, also etwa Brahms- Volkslieder ...

Raabe: ... oder »Sah ein Knab’ ein Röslein steh’n«, was man mit dem Etikett »Kunstlied« beklebt hat, was aber eigentlich zu einem Volkslied geworden ist. Oder »Am Brunnen vor dem Tore«.

Quasthoff: Am meisten nervt mich übrigens, wenn bei den Liederabenden die Leute in die Nachspiele hineinbölken! Dass die nicht wenigstens warten können, bis das Stück vorbei ist! Raabe: Kürzlich war ich in der Staatsoper bei »Tristan und Isolde«, und bei »Isoldes Liebestod«, bevor noch der letzte Akkord verklungen ist, stehen vor mir zwei Trullas auf und gehen ...

Quasthoff: (mit großer Entrüstung) Das ist ja nicht zu fassen!

Raabe: Ich hätte die fast die Brüstung runtergestoßen ...

Quasthoff: Manche Leute haben wirklich so gar kein Gefühl. Da muss man dann schnell zur Garderobe, damit man ja noch den Bus kriegt! – Habe ich Dir das nicht mal erzählt: Als ich als Zugabe »Mondnacht« gesungen habe, da kommt doch am Ende die Stelle (singt): »Als flöge sie nach Haus ...«, dann gibt es das Nachspiel, und da ruft eine Frau zu ihrer Nachbarin: »Und wir gehen jetzt auch nach Haus!« (Allseits großes Gelächter)

Quasthoff: Aber ich habe auch anderes schon erlebt, das werde ich nie vergessen. Das war in Lindau. Da habe ich die »Winterreise« gesungen, und kurz vor Schluss, genau zwischen »Nebensonnen« und »Leiermann«, steht eine Frau auf und brüllt ganz laut (imitiert mit hoher Stimme die Frau): »Dietrich Fischer-Dieskau ist ein Mörder!« – Ein paar Wochen später habe ich mit Fischer-Dieskau telefoniert. Und er fragte: »Wo waren Sie denn so in letzter Zeit?« Und ich sagte: »In Lindau.« Und er sofort: »War meine Freundin wieder da?«

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Michael Horst, 03.05.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2008



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