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N° 1307
27.05. - 02.06.2023

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am 03.06.2023



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27. Mai — 02. Juni 2023

Venere e Adone


Ein präziser atmosphärischer Zauber

„Schiffsbruch eines Mythos“ – „Naufragio di un mito“ so hieß sicher in der ganzen Operngeschichte noch kein Musiktheaterwerk. Für Salvatore Sciarrino – neben Giorgio Battistelli – gegenwärtig Italiens bedeutendster lebender Komponist – ist das freilich nur einer von diversen, komplexen Untertiteln für seine Bühnenstücke. Deren jüngstes, nun an der Hamburgischen Staatsoper am 28. Mai zur Uraufführung anstehende Opus, „Venus und Adonis“ geheißen, Chefsache zudem, bei der in seltener künstlerischen Einigkeit der Generalmusikdirektor Kent Nagano am Pult steht und der inszenierende Intendant George Delnon am Regiepult sitzt, versteht die Genrebezeichnung hoffentlich nicht als böses Omen …

„Venere e Adone“ ist summa summarum Sciarrinos 18. Musiktheaterwerk. Die lassen sich freilich schwer aufschlüsseln, zwischen Gesangsszenen, dramatischen Konstrukten, Tanzstücken, Opern. Und sicher kann man sagen, dass die beiden letzten „Opern“, „Superflumina“ für Mannheim und „Ti vedo, ti sento, mi perdo“ für das Teatro alla Scala di Milano bzw. die Berliner Staatsoper, inzwischen zwölf und acht Jahre her sind. Und auch für das jüngste Bühnen-Baby Sciarrinos gilt: Es beginnt wie sie oft mit Klängen aus der Stille. Sie kommen näher, bewegen sich und lösen sich in Dunkelheit auf. Ihre Natur ist das Sein und Nicht-Sein, das Entstehen und Vergehen – gleich aller Lebewesen in der ewigen Illusion von Leben und Tod. Es sind Klänge, wie sie die Menschen umgeben, eine naturnahe Musik.

Sie erzählen freilich von mythischen Gestalten: Venus und Mars, die einst Amor zeugten. Amor, der nun den betrogenen Vater rächen soll. Dem schönen Adonis, dem seine Liebe zu Venus zum Verhängnis wird. Und über allem: das Ungeheuer, il mostro, das keine Zuneigung kennt, keine Liebe, keinen Hass, sich selbst am allerwenigsten. Es wartet, unbekannt und todbringend, malträtiert von den Stimmen der Welt. Eine uralte Geschichte windet sich durch das Dickicht mythologischer Verflechtungen und findet neue Pfade. Wer wird triumphieren, Liebe oder Tod?

Sciarrino ist der erste nicht, der den Mythos in Töne umgesetzt hat. Schon Purcells Kompositionslehrer John Blow schrieb 1683 mit „Venus and Adonis“ die vermutlich erste englische Oper. Als „Der geliebte Adonis“, vertont von Reinhard Keiser, zierte der Stoff 1697 die berühmte Bürgeroper am Hamburger Gänsemarkt. 1997 brachte Hans Werner Henze die Geschichte an der Bayerischen Staatsoper auf die Bühne. Dramaturgisch betreut wird diese jüngste Musiktheater-Variation in Hamburg, wie so oft bei Sciarrino, von Klaus-Peter Kehr. Venere singt Layla Claire, Adone Randall Scotting. Matthias Klink gibt den Mars, Cody Quattlebaum Vulcano, Kady Evanyshyn Amore. Und das Il Mostro ist Evan Hughes, während La Fama gleichzeitig von dem Sopran Vera Talerko und dem Bariton Nicholas Mogg übernommen werden. Außerdem ist das kleine Vokalensemble Venere e Adone neben dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg zu hören.

Wer aber ist dieser Salvatore Sciarrino, die mit seiner Kammermusik wie seinen schillernd vielgestaltige, trotzdem klanglich schnell wiedererkennbaren Musiktheaterwerken zu den meistaufgeführten Komponisten der Gegenwart zählt? Er wurde am 4. April 1947 in Palermo geboren, sieht sich als stolzer Autodidakt, der nie ein Konservatorium besuchte, bei Antonino Titone als Zwölfjähriger zu komponieren begann, später bei Turi Belfiore lernte. 1962 wurde zum ersten Mal ein Werk von ihm öffentlich aufgeführt. Sciarrino war drei Jahre lang künstlerischer Leiter des Teatro Comunale in Bologna tätig, ansonsten führt er eine freie Existenz zu Hause im umbrischen Città di Castello.

In seinen Werken beschäftigt er sich viel mit Obertönen, dem Klang und der „Farbe“ der Töne und der Stille. Bekannt wurde Sciarrino jedoch besonders mit seinen antinaturalistisch und mystisch wirkenden Musiktheaterwerken. Die meisten entstanden in den Achtzigerjahren für sein „Theater der Körper“, das an die Performance-Erfahrungen der Sechziger anknüpfte. Am erfolgreichsten wurde seine Oper „Luci mie traditrici“, die 1998 (wie einige weitere) bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt wurde. Darin greift er das tragische Leben des gewalttätigen Renaissance-Komponisten Carlo Gesualdo auf. Und mit Stücken wie „Amore e Psiche“ 193 für Mailand, „Perseo e Andromeda“ 1991 für Stuttgart, hat er sich bereits mit Mythologien auseinandergesetzt.

Ein präziser atmosphärischer Zauber geht von Salvatore Sciarrinos oft ausgedünnten, kostbar konzentrierten Partituren aus, die doch ihre großen italienischen Opernvorbilder zu kennen scheinen, vor dieser Tradition aber nicht einknicken, sie ins Heute übersetzen. Da rasselt es hier metallisch, glissandiert da ein Kontrabass, gurgelt eine gestopfte Trompete und geht auch mal Glas zu Bruch. Es vibriert in isolierten Linien, fernen Flötenmelodien, am Rande des Hörbaren sich entfaltenden Streicherkantilenen. Zersplittert, doch intensiv ist das, sich soghaft verdichtend. Oft erzählt diese Musik mit geradezu schmerzhafter Schärfe und Melancholie, ebenso radikal wie poetisch von der Liebe wie der Isolation des Menschen.

Melismenreich und mit vielen Punktierungen, oft auf nur einem Ton mäandern die Gesangspartien in variierten Wiederholungen dahin. Und doch entsteht eine facettenreiche Innenspannung, gepaart mit einer sehnsuchtsvoll südländischen, ja belcantistischen Tonanmutung. Auch die Orchesterbehandlung ist oft von extremen Einzelstimmen geprägt, die sich kurzzeitig zu scharfen Tutti-Ballungen ausweiten. So entstehen Klangwirkungen, die sich nie in den Vordergrund drängen und doch allem den unverwechselbaren Sciarrino-Stempel aufdrücken. Dessen bisweilen hauchfeinen Gespinste, voll unterschwelliger Sinnlichkeit und unaufdringlich intellektueller Dichte, sind nämlich immer klar strukturierte Hörabenteuer.

Manuel Brug

Premiere: 28. Mai. Weitere Termine (Ausw.): 31.05., 03.06., 06.06., 08.06.





Fotos: Brinkhoff/Mögenburg




20. — 26. Mai 2023

Der singende Teufel


Die Leiden des jungen Künstlers

Das Bonner Opernhaus kann nicht auf eine Vergangenheit zurückblicken, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht, als die großen bürgerlichen Opern-Musentempel entstanden. Die blühende Stadttheater-Tradition ließ erst im frühen 20. Jahrhundert an kleineren Orten neue Opernhäuser entstehen. In Nordrhein-Westfalen gab es aber auch größere Städte, die lange Zeit kein Opernhaus – oder opernfähiges Mehrspartenhaus – besaßen. Essen gehört dazu, dessen Aalto-Theater erst 1988 eröffnet wurde. Und Bonn. In der ehemaligen Bundeshauptstadt wurde das auffällige Gebäude direkt am Rhein erst vor nicht einmal 60 Jahren eröffnet. Als „Eiswürfel in Stanniol“ verspottete der „Spiegel“ die ambitionierte Architektur. Im Verlauf der 1980er Jahre entwickelte es sich zu einem der – was die Besetzungen anging – führenden Häuser der alten Bundesrepublik, zur „Scala am Rhein“ mit Gastspielstars wie Montserrat Caballé und Plácido Domingo.

Als Berlin zur Bundeshauptstadt wurde, musste Bonn sich neu erfinden, und damit auch seine Oper. Bereits während der Intendanz von Klaus Weise entwickelte das Haus ein Faible für Opern des frühen 20. Jahrhunderts von Komponisten, die während der Nazi-Zeit verfemt und später vergessen waren. Weise setzte Opern von Franz Schreker und Walter Braunfels auf den Spielplan, etwa 2010 Schrekers „Irrelohe“ und 2011 „Der ferne Klang“.

Nun kommt Schrekers siebte Oper „Der singende Teufel“ oder, um den ursprünglichen Titel zu nennen „Die Orgel oder Lilians Verklärung“ zur Premiere. Das Libretto stammt aus des Komponisten eigener Feder, die Handlung spielt an einem fernen Ort in einem schwer festzulegenden Zeitalter und kreist um die typischen Schreker-Themen des falsch verstandenen, missachteten Künstlers, der gleichgültigen Massen und eine romantische Beziehung zu einer idealisierten Frauengestalt. Die Uraufführung von „Der singende Teufel“ ging 1928 in Berlin über die Bühne.


Bis weit in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein war Franz Schreker ein harter Konkurrent von Richard Strauss, denn er war der einzige Komponist im deutschsprachigen Raum, dessen Aufführungszahlen denen von Strauss ebenbürtig waren. Zudem war Schreker ein Liebling des Feuilletons. Mit der Uraufführung von „Irrelohe“ 1924 in Köln begann indes seine Vorzugsstellung in der Kritik zu bröckeln, die fatalen tektonischen Verschiebungen der Politik warfen bereits ihre Schatten voraus. Die Rezensenten mäkelten an Schrekers Partitur, ein Gesinnungswandel kündigte sich an, weg von der schwülen Opulenz und den wohl als dekadent empfundenen Sujets.

Die bereits erstarkenden Nationalsozialisten machten Stimmung gegen Schreker. So fiel die Uraufführung seiner siebten Oper am 10. Dezember 1928 unter der musikalischen Leitung von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper durch. Im Publikum saßen randalierende Horden der SA und trugen vermutlich nicht unerheblich zum Desaster bei. Ab 1933 durften Schrekers Werke in Deutschland nicht mehr gespielt werden und verschwanden alsbald auch international von den Spielplänen. Bei der seit geraumer Zeit andauernden Renaissance Schrekers fristete „Der singende Teufel“ bislang ein Schattendasein.

Die Premiere am Samstag ist eingebunden in ein groß angelegtes Rechercheprojekt unter dem Titel „FOKUS ’33 – Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben“. Im Rahmen dieses Projekts stellt die Oper Bonn Produktionen von Werken zur Diskussion, die nach 1933 oder ab 1945 aus den Spielplänen verschwanden oder in diesem Zeitraum entstanden und erst danach überhaupt zur Uraufführung gelangten. Julia Burbach inszeniert die Rarität, am Pult des diesbezüglich erfahrenen Beethoven-Orchesters Bonn steht GMD Dirk Kaftan.

Regine Müller

Premiere: 21. Mai.

Fotos: Thilo Beu




13. — 19. Mai 2023

Der Florentiner Hut


Ein Opernkompendium

„Wenn jemand sagt, dass alles, was ich in meiner Musik zum Ausdruck zu bringen versuche, ein wenig Nostalgie, viel herzlicher Humor und Optimismus ist, dann entspricht das genau dem, wie man sich später an mich erinnern soll: mit ein bisschen Nostalgie, viel Optimismus und gutem Humor.“ Nino Rotas Wunsch sollte in Erfüllung gehen, je mehr seiner Musik – gerade auch jenseits der Filmmusik – wir uns anhören. Nicht zuletzt trifft das auf seine dritte (von zehn) und erfolgreichste Oper, den flotten „Florentiner Hut“, zu, die der begnadete Rota zu Kriegsende in Bari schrieb und zehn Jahre später für die Premiere in Palermo orchestrierte.

Ein hübsches Divertissement ist da also gelungen, eine rundum erfreuliche Opernerfahrung. Also solche präsentiert sich die hundert Minuten lang liebeswürdig drauflosplappernde Spätbuffa „Il Cappello di Paglia di Firenze“, auf Deutsch: „Der Florentiner Hut“. In der „farsa musicale“ in vier Akten, der die berühmte Boulevard-Farce Eugène Labiches zu Grunde liegt, wird der Strohhut einer fremdgehenden Dame von Monsieur Fadinards Pferd gefressen. Der will eigentlich zu seiner Hochzeit, muss aber jetzt die Ehre der untreuen Lady retten. Während Fadinards Braut samt Anverwandten immer ungeduldiger wird, jagt der vergeblich einem neuen Hut hinterher.

1851 wurde das Labiche-Stück uraufgeführt, 1945 komponierte kein geringer als Nino Rota, Musikpartner Federico Fellinis, Franco Zeffirellis und Francis Ford Coppolas, auch Lehrer Riccardo Mutis, diese eigentlich aus der Zeit gefallene, erst zehn Jahre später in Palermo uraufgeführte Operette mit filmdramaturgisch schnittigem Anspruch. Die eine wunderfeine, neoklassisch tonale, mit vielen Anspielungen klanggewürzte Ensembleübung ist, wie etwa 2016 bei einer gelungenen Premiere in Gelsenkirchen zu bemerken.

2020 schon sollte „Der Florentiner Hut“ an der Oper Graz herauskommen, die Pandemie verhinderte das, aber man spielte stattdessen die Oper (zwei anderen Aufnahmen sind vergriffen) unter Studiobedingungen für das Label Capriccio ein. Und zur nun wirklichen Premiere im 13. Mai liegt sie auf zwei CDs vor, blitzsauber dirigiert von Daniele Squeo, der dankbar die Buffa-Tradition eines Paisiello oder Rossini und Wolf-Ferrari herausarbeitet, Spaß hat an den Zitaten von Bizet, Verdi oder Puccini. Und die mit durchwegs animierenden Sängerleistungen in den 13 Solorollen aufwartet.

Auch die an die Semperoper Dresden wechselnde Grazer Intendantin Nora Schmid ist immer noch überzeugt von ihrer Premierenwahl: „Das Stück macht gute Laune, ich komme von jeder Probe mit einem Energiebooster heraus. Und jetzt steht diese heitere, bereits einmal geprobte Ensembleoper, zwei Jahre später als avisiert, am Ende meiner Grazer Zeit. Mit Fröhlichkeit. Mit sehr vielen musikalischen Anspielungen aus vergangenen Premieren. Ein Opernkompendium. Mir gefällt das!“

Denn der „Capello“, das ist schwungvolle, der italienischen Folklore abgelauschten Melodik, und eine zwischen romantischer Emphase und Parlando changierende Musik, die voller Witz und Esprit steckt. Mit dem Tenor Piotr Buszewski als Fadinand hat man ein kraftvolles Zugpferd im Ensemble, dem auch Tetiana Miyus, Daeho Kim, Anna Brull, Ivan Oreščanin, Andżelika Wiśniewska, Dariusz Perczak, Martin Fournier und weitere Sänger angehören. Der komödienaffine Bernd Mottl inszeniert, Bühne und Kostüme sind von Friedrich Eggert bzw. Alfred Mayerhofer.

Manuel Brug

Premiere: 13. Mai. Weitere Aufführungen am 21.5. und 25.5. sowie im Juni.

Foto: Werner Kmetitsch




06. — 12. Mai 2023

Bernarda Albas Haus


Verteufelte Sexualität, Intrigen und ein Suizid

Schließt sich da ein Kreis? 1981, also vor nunmehr 42 Jahren inszenierte Dietrich Hilsdorf am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier mit „Eugen Onegin“ seine allererste Oper. Zuvor war der ausgebildete Schauspieler nach Regieassistenzen bei Peter Palitzsch und Hans Neuenfels ausschließlich als Schauspielregisseur aktiv gewesen. Nachdem der Gelsenkirchener Intendant Claus Leininger ihn für die Oper entdeckte, betrieb er beide Genres eine Zeitlang parallel, verlagerte aber in den mittleren 1980er Jahren seinen Schwerpunkt zur Oper, mit Ausflügen zu Operette und Musical. Bis etwa zur Jahrtausendwende galt er Pauschal-Urteilern als Regie-Berserker und Abo-Schreck, verblüffte aber immer wieder mit außerordentlicher Musikalität, handwerklicher Präzision und analytischen Ansätzen, die häufig die literarischen Vorlagen von Opernlibretti aufs Korn nahmen und so verschüttete Subtexte freilegten. Viele anfangs skandalisierten Aufführungen, wie etwa sein wuchtiger Essener „Don Carlos“ wurden bald Kult und hielten sich Jahrzehntelang auf den Spielplänen. Legendär waren sein atemberaubend präziser Gelsenkirchener Mozart-Zyklus, seine furiosen Verdi-Abende am Essener Aalto-Theater, wo er kurz vor Ausbruch der Pandemie Scarlattis „Kain und Abel“-Oratorium grandios in Bewegung brachte. Auch zuletzt Nonos „Intolleranza“ in Wuppertal war eine bemerkenswert dichte Arbeit.

Nun kehrt der 1948 in Darmstadt Geborene nach Gelsenkirchen zurück, und zwar mit einem besonders harten Brocken: Aribert Reimanns karger, überaus düsterer Kammeroper „Bernarda Albas Haus“. Wenn man im Netz die bereits veröffentlichten Spielpläne der kommenden Spielzeit nach Hilsdorfs Namen absucht, landet man keinen Treffer. Es sieht also ganz danach aus, als wäre die am Samstag (6.5.) bevorstehende Gelsenkirchener Premiere seine vorerst letzte als Opernregisseur.

Aribert Reimanns im Jahr 2000 an der Münchner Staatsoper uraufgeführte Oper nach Federico García Lorcas gleichnamigem Roman ist nichts für Opernkulinariker. Die Handlung spielt im spanischen Andalusien im Jahr 1936. Der Hausherr ist gerade gestorben, Bernarda Alba, seine zweite Frau führt von nun an ein eisernes Regiment und ordnet eine Trauerzeit von acht Jahren an, in der ihre fünf Töchter quasi unter Hausarrest stehen. Die Sehnsüchte wenigstens dreier der Töchter gelten indes einem gewissen Pepe el Romano, der mit der ältesten Tochter – aus erster Ehe – verheiratet werden soll, die vom Verstorbenen reich beerbt wurde. Zwei ihrer Halbschwestern aber lieben diesen Pepe ebenfalls, in der klaustrophobischen Enge des düsteren Hauses, getrieben von unterdrückter und verteufelter Sexualität brauen sich fatale Intrigen zusammen und münden schließlich mit dem Suizid einer der Schwestern in der Katastrophe. García Lorcas unbarmherzige Studie der repressiven Gesellschaftsverhältnisse im Spanien der 1930er-Jahre mag westlichem Großstadt-Opern-Publikum aus der Zeit gefallen scheinen, weggesperrte Frauen sind im Rest der Welt nach wie vor keine Seltenheit.

Aribert Reimanns Partitur sperrt dagegen bis auf den Einsatz (in Gelsenkirchen aus dem Off) eines Chores die Männer von der Bühne aus, alle Partien sind ausschließlich für Frauenstimmen komponiert. Begleitet werden sie von einem ungewöhnlich besetzten Orchesterapparat: Vier (teils präparierte) Flügel, zwölf Celli, zehn Holzblasinstrumente (Klarinetten und Flöten, keine Oboen) und sieben Blechbläser ordnen sich den Frauenfiguren zu, die allesamt mit extremen Partien betraut sind. Sprünge bis weit über die Oktave hinaus sind nicht die Ausnahme, sondern quasi das Grundmaterial der Stimmführung aller singenden Frauen, niemals kommt ein melodiöser Fluss zustande, aber auch charakterisierende Wendungen sind nicht auszumachen, vielmehr eint alle die hörbar gemachte maximale körperliche und seelische Anspannung. Man könnte die exaltierten Gesangslinien auch als Musik gewordene Hysterie bezeichnen, in Gelsenkirchen werden trotz deutsch gesungenen Textes glücklicherweise Übertitel eingeblendet, denn der verzerrte Gesangsgestus lässt den Text über weite Strecken unverständlich bleiben.

Allerdings verfallen die Frauen auch immer wieder ins trockene Sprechen – diese Passagen werden nicht übertitelt. Einen grandiosen Auftritt in Dieter Richters atmosphärisch dichter, eine brütende Stimmung evozierender Bühne hat die große Mechthild Großmann in der Sprechrolle als kindlich-wahnsinnige Mutter der gnadenlosen Hausherrin. In der Region ist sie vielen als langjährige Pina-Bausch-Darstellerin bekannt, ein größeres Publikum erinnert eher ihre selbstironisch-witzigen Auftritte mit verrauchter Bariton-Stimme als Staatsanwältin beim Münsteraner „Tatort“.

Regine Müller

Premiere: 6. Mai

Fotos: Karl und Monika Forster




29. April — 05. Mai 2023

Hercules


Klar, scharf und subtil

Auf immerhin drei Auftritte bringt es der griechische Halbgott Hercules im üppigen Opern- wie Oratorienschaffen Georg Friedrich Händels: Im 1727 uraufgeführten „Admeto“, darf er als Bass singender, rustikal-komischer, ziemlich einfach muskelgestrickter Deus ex Machina im zweiten Akt die Königin Alceste in der Unterwelt gegen den Höllenhund Cerberus verteidigen und wieder ans Sonnenlicht geleiten. 1750 taucht er in dem aus der nicht aufgeführten Schauspielmusik zu einer (wiederum) „Alceste“ sich speisenden, etwa 40 Minuten langen Musical Interlude „The Choice of Hercules“ neuerlich auf; als „Herkules am Scheideweg“ oder „Laßt uns sorgen, laßt uns wachen“ hat den Stoff ebenfalls Bach als weltliche Kantate gestaltet.

Und fünf Jahre vorher, 1745, hat Händel dem Helden sogar ein abendfüllendes Oratorium gewidmet, einfach „Hercules“ geheißen, und damals ein ziemlicher Misserfolg. Weil weltlichen Inhalts und mit einer eher knappen Chorpartie versehen, zählt es – wie die „Semele“ – zu den Musical Dramas, die sich durchaus auch für die Opernbühne eigenen. Nach einer spektakulären, seit 2004 von Aix-en-Provence aus auch international tourende und aufgezeichneten Produktion von Luc Bondy und William Christie mit Joyce DiDonato, William Shimell und Toby Spence, gab es das eher selten zu sehende, aber musikalisch so packende wie stringente Werk zuletzt groß 2022 als Premiere wie Eröffnung der 44. Internationalen Händel-Festspiele am Staatstheater Karlsruhe.

Im „Hercules“ hat bereits die fluffige Ouvertüre einen hellen, straffen, rhythmisch glucksigen Händel-Sound, der treibt und fesselt, obwohl das mythologische Geschehen eher traurig ist. Händel und sein Librettist Thomas Broughton erzählen das düstere, finale Herakles-Kapitel. Der kehrt wieder mal aus einem Krieg zurück, anders als Penelope wartet seine Gattin Dejanira aber nicht ergebungsvoll auf die Rückkehr ihres Odysseus, sondern rast vor Eifersucht. Vor allem, weil Herakles schon mal vorab die gefangene Königstochter Iole schickt, in der Dejanira eine Nebenbuhlerin vermutet.

Als letztes Heilmittel fällt ihr ein Liebeszauber ein, den ihr der von Herakles zur Strecke gebrachte Zentaur Nessus anempfohlen hatte: Sein aufgefangenes Blut, geträufelt auf ein Kleidungsstück, macht jeden müden Mann wieder libidomunter. Leider eine Lüge aus Rache: Herakles sitzt wahrlich in seinem Mantel in den Nesseln, reißt sich das ätzende Ding samt Haut vom Leib und stirbt unter Qualen, von seinem Vater Zeus als Adler in den Olymp geholt. Dejanira wird darüber wahnsinnig. Die Herrschaft übernehmen ab jetzt ihr Sohn Hyllus mit der von ihm angebeteten Iole.

Gestützt auf die Autoren Ovid, Sophokles und Seneca, ist „Hercules“ ein reiches Werk mit knappen Arien, affektsatten Rezitativen und schlicht-schönen Chören, klar, scharf und subtil wie im Schauspiel – und sehr aktuell.

Besonders die Dejanira ist eine tolle Albtraumrolle für Mezzos. Großartig gestaltet in ihrem disparaten Persönlichkeitsspektrum, ist sie einer der interessantesten Händel-Frauenfiguren, denn jede Sängerin wird hier virtuos, doch vor allem gefühlvoll gefordert: vom sehrenden Bangen der ihren Mann Entbehrenden, bis zur von Händel grandios durchstrukturierten Scena di Follia, die zur angstmachenden, bisweilen den schönen Ton sogar negierenden Wahnsinnszene als großes Accompagnato-Rezitativ sich steigert. Hercules ist dagegen ein solider, eher weichstimmiger Basspart. Der spielt auch stückbedingt und ohne jede Heldentat, nur die zweite Geige.

Nun startet in Frankfurt im Opernhaus am 30. April der umtriebige Starregisseur Barrie Kosky den nächsten „Hercules“-Premierenversuch als lokale Erstaufführung. In der folgenden Spielzeit wird er auch an sein Ex-Stammhaus als Intendant, die Komische Oper Berlin, weiterziehen. Die musikalische Leitung hat der Hausdebütant Laurence Cummings, Bühnenbild und Kostüme stammen von der Kosky-bewährten Katrin Lea Tag. Hercules ist Anthony Robin Schneider, Paula Murrihy verkörpert Dejanira und Michael Porter ihren Sohn Hyllus.

Manuel Brug

Premiere: 30. April. Weitere Aufführungen am 03.05., 06.05., 14.05.,18.05, 21.05. und 26.05.

Fotos: Monika Rittershaus




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