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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Immer schön die Augen auf. Besonders im Großstadtdschungel, in dem das Schicksal schnell um die Ecke kommen kann. Und prompt ist Euridice auch schon tödlich in einen Verkehrsunfall verwickelt. Fortan beginnt für den langmähnigen Hobby-Gitarristen Orfeo eine quälende Odyssee durch albtraumhafte Seelenschluchten - die ihm zwischendurch einen Kurzaufenthalt in der Hades-Psychiatrie einbringt. Für die Berliner Inszenierung von Christoph Willibald Glucks "Orfeo ed Euridice", die 1991 am Londoner Covent Garden wieder aufgenommen und gleichzeitig aufgezeichnet wurde, bleibt Regisseur Harry Kupfer ganz nah am wirklichen Leben, um diesem Liebesdrama so gut wie möglich den mythologischen Nährboden unter den Füssen wegzuziehen. Zum Schluss gibt es daher auch gleich zwei Lösungsvorschläge. Einmal ist es das von Gluck ermöglichte Happyend, wenn sich Jochen Kowalski als Orfeo mit seiner Euridice und der Amor-Figur wie bei einer konzertanten Aufführung aufbauen und das Liebesglück eher rituell besingen. Während im Hintergrund ein Orfeo-Double sich vor lauter Verzweiflung das Leben genommen hat.
Bei aller Durchschaubarkeit, mit der Kupfer "Orfeo ed Euridice" in die Gegenwart entlässt, blickt die Inszenierung jedoch über das zweidimensionale Regie-Theater hinaus. Dank des von Hans Schavernoch gestalteten Bühnenbildes mit seinen Spiegelkabinetten und sich überlagernden Projektionen entwickelt sich ein Bilderstrudel, in denen Erinnerungen und Phantasien ineinander verlaufen. Mit erheblichen Auswirkungen. Countertenor Jochen Kowalski zieht mit seinen nicht zuletzt stimmschauspielerischen Qualitäten alle Blicke auf sich, durchleidet bis in die letzte Pore die Gewissheit, dass Euridice nur noch eine phantasmagorische Kunstfigur bleiben wird. Im Gegensatz zur millimetergenau ausgemessenen Künstlichkeit, mit der jüngst Regisseur Robert Wilson Glucks Oper absterben ließ, macht Kupfer somit aus diesem Orfeo ein tickende Zeitbombe, die nur noch überirdische Kräfte entschärfen könnten. Knapp 90 Minuten lang dauert dieser Opern-Hitchcock - die aber wie im Fluge vergehen. Zumal Dirigent Hartmut Haenchen das Orchester des Royal Opera House mit dem nötigen Feingespür für die ariosen Fieber- und Spannungskurven leitet.

Guido Fischer, 01.09.2007


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