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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Johann Sebastian Bach, Johann Paul von Westhoff

Augustes auspices

Rachel Harris

Ambitus/Klassik Center Kassel AMB96987
(178 Min., 9 & 10/2016) 3 CDs

Als Johann Sebastian Bach im Jahre 1708 seine Stellung als Hoforganist und Kammermusiker in Weimar antrat, bezog er das Haus, in dem bis 1705 der Geiger und Gelehrte Johann Paul von Westhoff gelebt hatte; ihm selbst konnte er zu dieser Zeit nicht mehr in seiner neuen, respektablen Rolle als Hofmusiker entgegentreten, denn Westhoff war 1705 gestorben. Ob er ihm im Jahre 1703 begegnet ist, als er lediglich als Lakai und Violinist schon einmal für kurze Zeit in Weimar beschäftigt war, lässt sich nicht zuverlässig ermitteln. Miteinander bekannt gemacht haben könnte die beiden Musiker Johann Gottfried Walther, Bachs entfernter Verwandter und langjähriger Organist an der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul. Walther war einer der bedeutendsten Musiktheoretiker seiner Zeit; hätten die drei damals miteinander kommuniziert, dann wäre es in ihren Gesprächen sicher auch um musiktheoretische und -ästhetische Fragen gegangen. Es ist vor diesem Hintergrund nicht von der Hand zu weisen, aber gleichzeitig eben auch nicht zu beweisen, dass die Suiten für Violine solo von Westhoff Vorbild und Inspirationsquelle für Bachs Sonaten und Partiten für Violine gewesen sind.
Eine gute Idee ist es aber allemal, diese Stücke einander gegenüberzustellen – in der verschränkten Form permanenten Wechselns zwischen Westhoff und Bach (der Ältere hat mit seiner Suite Nr. 1 in a-Moll den Vortritt, es folgt Bach mit seiner Sonata Nr. 1 in g-Moll), wie es Rachel Harris auf den drei CDs dieses Albums tut. Parallelen werden auf diese Weise deutlich, vor allem zwischen den Tanzsätzen der Suiten Westhoffs und der Partiten Bachs, aber auch Unterschiede – man höre etwa die Fugen-Sätze der Sonaten Bachs und bestaune dabei dessen offensichtliche Herrschaft über die Möglichkeiten der Violine, die ja nicht sein Hauptinstrument war.
Rachel Harris geht diese komplexe Musik mit großer Spielfreude und Impulsivität an. Deutlich forscher als mancher andere Interpret vor ihr greift sie etwa auf Bachs Fugen zu, deren spieltechnische Herausforderungen für sie irgendwo auf jenem Weg zu liegen scheinen, den sie auf ihrer visionären Reise zu einer Verwirklichung dieser so schwer zu verwirklichenden Musik hinter sich gelassen hat. Klar, möchte der abgebrühte Konsument perfekt designter Musikkonserven sagen: Perfekte Technik ist Voraussetzung. Aber bei diesen Violinsoli bewegen wir uns auch heute noch im Grenzbereich nahezu transzendenter Anforderungen gleichermaßen an Fingerfertigkeit und Intellekt des Interpreten, zumal wenn auf Basis historischer Quellen und mit historischem Instrumentarium gearbeitet wird. Das Endergebnis, so möchte man meinen, ist dann Spiegelbild einer erfolgten tiefgreifenden Auseinandersetzung mit der Musik als solcher und der Problematik ihres realen Erklingens im Hier und Jetzt – und in diesem Fall eben eine sehr erfolgreiche Auseinandersetzung, wie auf diesen CDs hautnah zu erleben ist.

Michael Wersin, 09.12.2017


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