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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Karlheinz Stockhausen

Klavierstücke I – XI

Sabine Liebner

Wergo/Naxos WER 73412
(155 Min., 2015 - 2017) 2 CDs

Mit dem Klavier ist Karlheinz Stockhausen buchstäblich aufgewachsen. Schon als Vierjähriger war er auf den Klavierstuhl geklettert, um am familiären Instrument herumzuklimpern. Und bereits als Neunjähriger spielte er dann bei Dorffesten zum Tanz auf, mit Arrangements von der „Petersburger Schlittenfahrt“ bis zur „Schönen blauen Donau“. Natürlich ahnte damals aber noch niemand, dass der rheinische Bub einmal die musikalischen Welten auch des Klaviers auf radikal neue Umlaufbahnen schießen sollte. Fast 20 Klavierstücke hat Stockhausen im Laufe von fünf Jahrzehnten geschrieben. Wobei die Klavierstücke XII - XIX allesamt Teilstücke seiner Oper „Licht“ sind, die ab 1977 über Jahrzehnte zu einem einzigartigen Opus Magnum anwuchs. Die Klavierstücke I – XI hingegen, die die phänomenale Neue Musik-Pianistin Sabine Liebner jetzt in einer Gesamteinspielung vorlegt, stammen aus den 1950er Jahren und damit aus einer Zeit, als Stockhausen mit den Kollegen Boulez und Nono die musikalische Zukunft nach allen Regeln der strengen Logik ins Visier nahm.
So sorgte Stockhausen 1952/53 sogleich mit seinen durchorganisierten, dennoch extrem gespreizt und gereizt daherkommenden Klavierstücken I - IV für helle Aufregung. 1954/55 folgten die Stücke V - X, mit denen Stockhausen auch die Rolle des Interpreten veränderte. So lebt gleich das Klavierstück V trotz formaler Strenge und präzis Fixiertem von einer riesigen Palette an hochdifferenzierten Anschlagstechniken, über die der Interpret in den klanglichen Prozess eingreifen und daraus ein faszinierendes, sich zwischen Ruhe und Unruhe bewegendes Klangmobile entstehen lassen kann. Mit den beiden Klavierstücken IX und X, die 1961 ausgearbeitet wurden, sowie dem Klavierstück XI (1956) ging Stockhausen den Weg der interpretatorischen Variabilität schließlich weiter. In der Nr. IX lässt er etwa über zweihundert Mal einen Vierton-Akkord anschlagen, der einer mathematischen Reihe folgt. Zugleich muss der Interpret auch über minimale zeitliche Verzögerungen diese Akkord-Kette zum Atmen und ins Schwingen bringen. Und im Klavierstück XI übernimmt der Pianist schließlich die Rolle des Co-Komponisten. Statt eines linearen, von Anfang bis Ende durchgeformten Musikwerks hat er jetzt einen großen Papierbogen vor sich, auf dem 19 verschiedene Notengruppen unregelmäßig verteilt sind und die nun spontan miteinander verknüpft werden. Mit erstaunlichem Resultat, wie Sabine Liebner nun mit zwei Versionen dieses Klavierstücks beweist. Während die 1. Fassung mit ihren tiefenromantischen Zügen schon fast den Geist der Lisztschen h-Moll-Sonate zu beschwören scheint, entpuppt sich die kargere 2. Version als ein Balanceakt zwischen Stille und Nicht-Stille. Überhaupt haucht Liebner auch dank ihrer manuell spektakulären Möglichkeiten diesen höllisch schweren Werken ein ungemein reiches, packendes und abenteuerliches Leben ein. Und dass gerade das Junggenie Stockhausen das musikalische Leben auch aus eigener Erfahrung als Jazz-Pianist nur allzu gut kannte, kann man dem Klavierstück X heraushören – mit seinen leichten Blues-Einfärbungen.

Guido Fischer, 21.07.2018


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