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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Wie klingt die Musik längst vergangener Tage? Das könnten nur Ohren dieser vergangenen Tage beantworten, denn ein Hörer von heute hört auf Basis ganz anderer Musikerfahrungen und auch Erwartungen an die Musik. Jedes Eintauchen in frühere Epochen bleibt zwangsläufig bei einer Annäherung. Die umso gelungener ausfällt, je weniger rekonstruierend sie herangeht und je mehr sie den heutigen Hörer im Blick behält.
Das Ensemble Oni Wytars hat Giambattista Basiles „Märchen der Märchen“ (eigentlich „Pentamerone“, da sich seine Rahmenhandlung an fünf Tagen ereignet) in den Mittelpunkt seines neuen Albums gestellt. Die Märchensammlung von 1634 gab den Tonfall für eigentlich alle folgenden vor, ihr Einfluss kann kaum überschätzt werden, ähnlich dem des „Decamerone“ Boccaccios auf die Erzählkunst. Ein literarisches Thema, zweifelsohne – aber wie wird daraus ein musikalisches?
Während Charles Perraults „Märchen meiner Mutter Gans“ etwa von Maurice Ravel vertont wurden, gibt es solche Übertragungen bei Basile nicht. Die Musiker nähern sich vielmehr der Atmosphäre und dem Zeitalter von Basiles Märchen durch Canzonen und Villanellen an, die dem neapolitanischen Umfeld der im Dialekt verfassten Sammlung und ihrer Zeit entstammen. Denn im 17. Jahrhundert wurden im Schatten des Vesuv nicht nur Märchen, sondern auch volkstümlich gehaltene, derbe und lebensfrohe Gesänge, die so genannten Villanellen, ungemein populär. Und fanden sogar Eingang in die Musikkultur der reichen Palazzi.
Auch wenn die Musiker von Oni Wytars dank zweier kernig timbrierter Mundarterzähler (Patrizio Trampetti, Bruno Buoninconti) Zitate mit Musikbezug einflechten und auf einige bei Basile konkret genannte Canzonen zurückgreifen konnten – die Verbindung zur Textvorlage bleibt insgesamt doch eher atmosphärischer Natur. Das gilt auch für die Musik selbst, die durch entsprechend kehlig eingefärbten Gesang voller Bebungen und Schleifer oder den gepfefferten Einsatz von Gitarre, Tamburin und großer Trommel viel Ursprünglichkeit für sich in Anspruch nimmt. Da das Ganze aber recht aufrichtig und mitreißend musiziert ist, erübrigt sich eigentlich die Suche nach historischen Aufhängern: Es ist eine fantasievolle Klangreise in ein längst vergangenes Neapel.

Carsten Hinrichs, 16.02.2019


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