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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Franz Schubert

Schubert

Khatia Buniatishvili

Sony 19075841202
(83 Min., 12/2018)

Der Ruf von Khatia Buniatishvilis eigenwilliger Schubert-Interpretation eilte in Form von Konzertkritik schon durch die Presse. Irritation, Ablehnung, aber auch Begeisterung – die Kollegen und offenbar auch die anderen Konzertbesucher fanden zu sehr unterschiedlichen Urteilen. Nun liegt Buniatishvilis Interpretation der letzten Klaviersonate Schuberts (D 960), ergänzt um die vier Impromptus D 899 sowie Liszts Bearbeitung des „Ständchens“ aus dem „Schwanengesang“, als Album vor.
Stein des Anstoßes dürften vor allem die ersten beiden Sätze der Sonate sein, in denen Buniatishvili eine unzweifelhaft von Schubert selbst beabsichtigte Brüchigkeit und Sensitivität interpretatorisch zu übersteigern scheint. Dabei ist es nicht einmal die gelegentlich verstörende dynamische Spannweite der Darbietung, die bemängelt werden könnte – sie lässt sich aus der Partitur rechtfertigen. Und die klanglichen Nebelschleier, in denen die Konturen immer wieder zu versinken drohen? Sie mögen vor dem Horizont des Schubert-Spiels auf einem modernen Flügel ungewohnt erscheinen. Legt man aber Hörerfahrungen mit einem Hammerflügel in die Waagschale, muss das Urteil auch über dieses Stilmittel differenzierter ausfallen. Betrachtet man Schuberts Sonaten stilistisch gesehen als „klassizistisch“, wie dies eine Kollegin von der Presse tat, dann kann Buniathishvilis Tendenz, die Musik immer an den Rand des stillen Zerfallens, ja des Versiegens zu führen, Widerspruch erregen. Aber tatsächlich präsentiert sich Schuberts letztes Sonaten-Opus ja unbestreitbar als persönliche Auseinandersetzung mit Beethoven, der selbst schon ein distanziertes Verhältnis zur eigentlichen „Wiener Klassik“ hatte. Insofern ist auch die zarte Morbidität der Interpretation zu rechtfertigen: Der nach-aufklärerische Schubert, ein geistig hell-, ja geradezu: überwacher künstlerischer Zeuge der berechtigten Depressivität des Restaurationszeitalters, positioniert sich selbstbekennerisch als Anti-Held. Auf dem Trümmerhaufen eines u. a. in einem Brief an Schober höchst schmerzvoll rezipierten kurzen menschheitsgeschichtlichen Intermezzos, das er u. a. am Geist der Musik Mozarts festmachte, sucht er nach Orientierung zwischen der Idylle einer fernen geistigen Welt und den Schrecknissen der diesseitigen Alltagsexistenz. Bezugnahme auf all dies vermeine ich durchaus in Buniatishvilis Schubert-Interpretation zu hören.
Und dennoch muss diese aus musikalischer Perspektive eher positive Würdigung mit einem „Si tacuisses …“ enden: Die selbst verfassten Beiheft-Texte der Pianistin, die unter den Überschriften „Notizen einer Feministin“ und „Der Tod und das Mädchen“ auf krause Art Andeutungen über vermutlich selbsterlebte Beziehungs-Asymmetrien mit pathetischem und gefühligem So-sind-wir-Frauen-eigentlich-Exhibitionismus (Stokowski würde weinen, fürchte ich) verschmelzen, lassen wieder Zweifel aufkommen, ob wir von demselben Franz Schubert sprechen. Jedenfalls möchte ich bezweifeln, ob man wie Buniatishvili unbedingt „etwas Weibliches, eine besondere Empfindsamkeit, eine Kraft des Ausharrens und Erduldens“ in Schuberts Musik suchen und finden muss, um ihn zu verstehen.

Michael Wersin, 06.04.2019


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Kommentare

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gemihaus
Also, es ist schon erstaunlich, was man als Kirchenmusiker heraushören bzw. imaginieren kann, aus diesem allemal höchst eigenwilligen und so geschmäcklerisch-sentimentalischen Spiel einer Pianistin, die sich permanent mit Musik, hier mit Schubert (als Cover-'Mädchen des Todes'), inszeniert ... kühne Unbekümmertheit mit wenig Stilgefühl, ganz im Sinne Schuberts, nicht wahr?


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