Christophorus/Note 1 CHE02142
(71 Min., 10/1995)
Die „Empfindsamkeit“ gehört nicht zu den populärsten Phasen der Musikgeschichte: Landläufig betrachtet ereignet sich hier ja kompositorisch-strukturell zunächst einmal eine radikale Vereinfachung des musikalischen Satzes, vor allem im Vergleich mit der außerordentlichen Dichte gerade der Spätwerke Johann Sebastian Bachs. Gleichzeitig arbeiten die Komponisten dieser Zeit aber doch häufig noch mit melodischen und formalen Mitteln der barocken Epoche, die nun allerdings im einfachen Oberstimmen-zentrierten Satz über einer Basslinie oft seltsam sinnentleert erscheinen: Die durchschlagend neuen Parameter auf allen Ebenen, die die anschließende klassische Epoche bestimmen werden, sind eben noch nicht entwickelt.
Soweit die Kritik, die sich vor allem aus der Rückschau ergibt und der eigentlichen Vielfalt des Repertoires aus der Zeit etwa zwischen 1740 und 1780 nicht wirklich gerecht wird. Vor allem aber fehlt in der kritischen Beschreibung das, was – der Bezeichnung „Empfindsamkeit“ gemäß – das Wesentliche dieser Musik ausmacht: An die Stelle der teils etwas starr gewordenen barocken Affekte, die einem ganz und gar überpersönlichen „Ordo“ zu entsprechen hatten, tritt eine von den Menschen der Zeit wohl als „echter“, unmittelbarer erlebte individuellere Empfindsamkeit. Genau diesen Aspekt verstehen der Flötist Laurence Dean und der Harfenist Andrew Lawrence-King (hier auch gelegentlich am Cembalo und an der Orgel tätig) aufs Vorzüglichste hervorzuheben: Die zarte Intimität ihrer zweisamen Reise durch das Repertoire der Zeit ist von höchster Delikatesse und hat seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahre 1996 nichts von ihrem interpretatorischen Wert eingebüßt.
Michael Wersin, 07.09.2019
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