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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel

Bach, Händel. An imaginary meeting (Violinsonaten)

Lina Tur Bonet, Dani Espasa

Aparté/harmonia mundi AP219
(73 Min., 4/2019)

Man hätte, um ein interessantes Programm aus Violinsonaten von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel zusammenzustellen, nicht unbedingt ein „imaginäres Treffen“ der beiden Zeitgenossen (die sich ja tatsächlich niemals persönlich begegnet sind) zum Aufhänger machen müssen: Dass sie die Musik des jeweils anderen gekannt haben, ist doch relativ wahrscheinlich; die Vorstellung, sie könnten de facto zusammen musiziert haben, ist durchaus reizvoll, wird aber im Beihefttext gar nicht evoziert. Freilich sind die hier vorgestellten Violinsonaten hinsichtlich der zugrundeliegenden kompositorischen Konzepte so verschieden, dass ihre Gegenüberstellung in der Tat einiges hergibt: Während Händel sich an die übliche Vorgehensweise hält, dem begleitenden Tasteninstrument lediglich eine bezifferte Bassstimme zuzuweisen, die vom Spieler improvisatorisch ausgesetzt wird, komponiert Bach den Cembalopart selbst obligat aus, und zwar in dem Sinne, dass das Cembalo zwei, die Violine eine Stimme zu einem Trio beiträgt. Bei Bach ist die rechte Hand des Cembaloparts also nicht akkordisch ausgeführt, sondern einstimmig und steht in einem imitatorisch-gleichberechtigten Verhältnis zum Violinpart.
Das bahnbrechend Neue an Bachs Sonaten ist also die Aufwertung des Cembalos: Nicht zwei Melodieinstrumente gestalten die Oberstimmen einer Trio-Komposition, sondern ein Melodieinstrument und das Cembalo, das bis dato „nur“ Continuoinstrument war. Genau dieser Aspekt bringt auch gleichzeitig ein aufführungspraktisches Problem mit sich: Es ist kaum möglich, den Violinpart so dezent zu spielen, dass die obere Stimme des Cembaloparts hörbar gleichberechtigt neben die Violine treten könnte, so wie es die musikalische Substanz eindeutig fordert. Dieses Problem ist auch bei der vorliegenden CD präsent: Je ausgelassener und engagierter Lina Tur Bonet auf der Violine agiert, desto weniger nimmt man die rechte Hand ihres hervorragenden Duopartners Dani Espasa als dialogisch zur Violinstimme war – Tonerzeugung und Lautstärke-Kapazitäten sind einfach zu unterschiedlich. Dass man offenbar nicht aufnahmetechnisch „nachgeholfen“ hat, ist natürlich nicht nur ehrenwert, sondern völlig korrekt.
Etwas anders präsentiert sich das Verhältnis der beiden Instrumente bei Händel: Zwar ist die Bassstimme des Cembaloparts auch hier relativ dezent (man hätte, weil es sich um eine Continuostimme handelt, durchaus ein Cello mitspielen lassen können), aber die Diskantseite tritt stärker hervor als bei den Bach-Sonaten – schließlich spielt Espasa hier nicht einstimmig, sondern akkordisch. Und dies tut er improvisatorisch so kreativ, dass es eine einzige Freude ist: Espasas Continuospiel ist niemals nur harmonisches Füllwerk, sondern beteiligt sich stets auch obligat am motivischen Geschehen in der Geigenstimme. Hinzu kommt, dass Espasa die komponierte Bassstimme und die improvisierte rechte Hand so gekonnt und kreativ zu einem differenziert mehrschichtigen Ganzen verbindet, wie es nur wenige Continuospieler vermögen. Lina Tur Bonet ist ohne Zweifel eine großartige Barock-Geigerin, aber Dani Espasa ist der heimliche Held dieser Produktion. Händel und Bach hätten Freude an ihm gehabt.

Michael Wersin, 18.01.2020


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