Alpha/Note 1 ALP594
(214 Min., 7 & 8/2019) 3 CDs
Gegen Ende der dritten Klaviersonate seines op. 31-Päckchens schaltet Beethoven noch einmal zwei Gänge höher. Im 6/8-Takt geht es da furios über Stock und Stein. Und bei der kürzlich veröffentlichten Einspielung von Hammerklavier-Spezialist Andreas Staier begriff man auf Anhieb, warum dieses Werk seinen Beinamen „Jagdsonate“ eben diesem Finalsatz verdankt. Bei dem ebenfalls auf historische Tasteninstrumente fokussierten Belgier Jos van Immerseel kommt nun dieses Presto con fuoco eher wie eine hübsche Landpartie daher. Kein Wunder. In den jetzt über sechs Minuten Spielzeit (im Vergleich: Staier benötigt viereinhalb Minuten) hat Immerseel nämlich alles Wagemutige und Risikofreudige dieser Musik einer reinen Akkuratesse des Notenbildes geopfert, bei der zwangsläufig das Tempo runtergefahren werden musste. Arg gediegen lässt denn Immerseel seinen immerhin neunteiligen Sonaten-Parcours ausklingen, mit dem er laut CD-Titel den „jungen Beethoven“ porträtiert. Bei der Programmzusammenstellung ist man dann jedoch etwas verwundert. Nicht nur fehlen Beethovens vier erste Sonaten opp. 2 & 7. Und bei der Komposition der Sonate op. 31/Nr. 3 war der Bonner bereits 32 Jahre und damit in einem Alter, in dem er seiner Zeit längst ein neues Hören gelehrt hatte. In der dramaturgisch wenig plausiblen Sonatenabfolge finden sich immerhin solche Greatest Hits wie die „Pathétique“, die „Mondscheinsonate“ sowie die „Pastorale“. Hinzu kommen so manche Piècen wie das „Andante Favori” WoO 57 sowie das Rondo „Alla Ingharese“ op. 129, besser bekannt als „Die Wut über den verlorenen Groschen“. Aber auch hier geschieht das, was sich fast wie ein roter Faden durch das 3-CD-Set zieht: Bei Immerseel verwandelt sich der Fortschrittler Beethoven nicht selten in einen Biedermann. Alles Spritzige bis Irrwitzige treibt er dieser etwas anderen Unterhaltungs- und Gelegenheitsmusik aus – und macht aus der vermeintlichen „Wut“ eine harmlose Verstimmung. Gestochen scharf und konturenreich darf sich dafür dann jede einzelne Note präsentieren. Doch das Tollkühne, Widerständige, Irritierende, wie es gerade in den Sonaten allgegenwärtig ist, fehlt bei Immerseel. Der schnelle Teil des Eröffnungssatzes der „Pathétique“ etwa ist zwar mit Allegro di molto e con brio überschrieben. Bei Immerseel setzt sich dieses Allegro jedoch langsam und behäbig wie eine schwere Lok in Bewegung. Nun kennt der Belgier Beethoven natürlich schon von zahllosen Aufnahmeprojekten her. Und so gewinnt man den Eindruck, dass Immerseels Scheitern schlicht und einfach durch sein Instrument verursacht ist. Zu hören ist er nämlich auf dem Nachbau eines um 1800 entstandenen Fortepianos von Anton Walter. Im Booklet preist Immerseel diese Kopie als „revolutionäres Prunkstück meiner Klaviersammlung“. Zu hören ist das aber nicht. Dafür fehlt es dem Flügel einfach an tonlichen Rundungen und feinsten Klangabstufungen. Im Gegensatz etwa zu Andreas Staier, bei dessen Beethoven-Aufnahme man schnell vergisst, dass er ein Fortepiano aus dem Jahr 1810 spielt, wird man bei Immerseel ständig daran erinnert, dass es sich hier um eine Replik einer wenig beweglichen Tastenantiquität handelt. Schade.
Guido Fischer, 11.07.2020
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