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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Tōru Takemitsu, Henry Cowell, Kaija Saariaho, Gavin Bryars, Anahita Abbasi, Luc Ferrari

„Musique?“ (Cembalowerke)

Mahan Esfahani

Hyperion/Note 1 CDA68287
(80 Min., 7/2019)

Kaum ein anderes Instrument ist derart an seine glorreiche Vergangenheit gekettet wie das Cembalo. Denn sobald es nur ein-, zweimal „Pling“ macht, denkt man automatisch ans große Erbe all der Bachs und Couperins. Dass es daher ziemlich mühsam ist, das Cembalo aus seinem vertrauten Repertoire- und Klangkorsett zu befreien, musste auch Mahan Esfahani schlagzeilenträchtig erfahren. So wurde er vor einigen Jahren von einem wenig aufgeschlossenen Publikum ausgebuht, als er ein Stück des amerikanischen Minimal-Music-Papstes Steve Reich auf dem Cembalo gespielt hatte. Dabei steht doch spätestens seit György Ligetis Neue-Musik-Klassiker „Continuum“ fest, dass das Cembalo dank seiner Mechanik absolut prädestiniert für solche verschachtelten Gleichlauf-Experimente ist. Mit diesem oftmals auch manischen Zug, den Hochgeschwindigkeits-Trillerketten oder übereinander geschichtete Tempo-Trassen entwickeln können, haben nun einige der sieben Komponisten ihre Cembalo-Stücke gespickt. Wie die Finnin Kaija Saariaho in ihrem elektro-akustischen „Jardin secret II“, das einer musikalischen Geisterbeschwörung gleicht. Und „Intertwinded distances“ von Anahita Arbasi, die wie Eshafani aus dem Iran stammt, lebt von Extremen, clusterähnlichem Spuk, irrwitziger Dramatik und geheimnisvollen Echokammern.
Aus dem Zeitraum 1972 bis 2018 stammen die Kompositionen, mit denen der bis in die Fingerspitzen hochmotivierte und versierte Teufelskerl Esfahani erneut eine Lanze für das zeitgenössische Cembalo bricht. Den Startschuss gibt er mit dem gespreizt pointillistischen „Rain Dreaming“ des Japaners Tōru Takemitsu, gefolgt von einem „Set for Four“, in dem der Amerikaner Henry Cowell barocke Fugenkunst umkreist. Der Titel „After Handelʼs ‚Vesper‘“ des Engländers Gavin Bryars führt dagegen leicht in die Irre. Denn Bryars nimmt damit weniger Bezug auf die Musik des Sachsen, sondern auf eine gleichnamige Passage aus einem Roman von Raymond Roussel. Trotzdem besitzt dieses Stück etwas anziehend Retrospektives. Die Zukunft hatte schließlich der Franzose Luc Ferrari zumindest vom Titel seines Werks „Programme commun – Musique socialiste?“ her im Visier. Doch zum Glück erweist sich der musikideologische Unterbau in diesen von einem elektronischen Dauerpuls in Bewegung gehaltenen Akkordzersetzungen als wenig verbissen, kopflastig. Und auch hier ist man einfach verblüfft, welche bislang unentdeckte Seiten das Cembalo da zu bieten hat.

Guido Fischer, 25.07.2020


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