Mit seiner Hinwendung zur geistlichen Chormusik wollte Piotr Iljitsch Tschaikowski in den 1870er- und 1880er-Jahren das etwas verkrustete Repertoire der russisch-orthodoxen Kirchenmusik auffrischen, was ihm auch ohne Zweifel gelungen ist. Sein Verleger hatte sich das sogar eigens und aufwendig vor Gericht erstritten, da die Amtskirche bisher das Monopol auf dergleichen Veröffentlichungen hatte. Umso bedauerlicher ist daher, dass die Chormusik dieses sonst so populären Komponisten nach wie vor unverdient im Schatten seines übrigen Vokalschaffens steht. Jetzt hat der renommierte Lettische Rundfunkchor unter Sigvards Kļava beim Label Ondine schon seine zweite, eindrückliche Einspielung herausgebracht, die sich diesem Werkstrang widmet. Nach der Johannes-Chrysostomos-Liturgie und 9 Chören, gibt es diesmal, wiederum von einem so hellen wie flutenden Klangbild geprägt, die Ganznächtliche Vigil: eine Zusammenstellung von 14 Chorstücken im Stil von Znamenny, Kiew und den griechischen Quellen. „Versuch der Harmonisierung liturgischer Melodien“ nannte Tschaikowski diese 1881 begonnene, eigentlich einfach kontemplative, aber auch hochexpressive, leuchtkräftige Musik, deren Texte auf Psalmen basieren und die das Ensemble aus Riga mit makelloser Klanghomogenität und sensibel abgestufter Dynamik präsentiert. Außerdem enthält die jüngste CD noch vier einzelne Gesänge, womit Tschaikowskis vokales Chorschaffen komplettiert ist. Darunter sind der komplexe „Hymnus zu Ehren der Heiligen Cyrill und Methodius“, die schlichte „Legende“, das kurze Chorstück „Der Engel rief“ sowie als Kuriosum ein Chor zum 50. Jahrestag der Petersburger Rechtsschule. Alle werden von Sigvards Kļava gleichermaßen grandios zum Klangleben erweckt.

Matthias Siehler, 08.08.2020

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