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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Singing In The Dead Of Night

Eighth Blackbird

Çedille Records/Naxos CDR90000195
(46 Min., 9 & 10/2019)

Wer neue, interessante Entwicklungen in der „Ernsten Musik“ entdecken wolle, der solle sich die umtriebigen Leute von „Bang On A Can“ anhören. Das empfahl der Minimal-Music-Star Steve Reich vor rund 25 Jahren. Die treibenden Köpfe dieser Musikervereinigung, Julia Wolfe, David Lang und Michael Gordon, fassten ihre Ziele damals ebenfalls zusammen: Sie wollten Spaß an Neuer Musik. Und sie wollten eine Neue Musik, die sich nicht im Elfenbeinturm einmauert, sondern all das integriert, was Rock und Pop an Material bieten können: Samples, Elektrogitarren, Rhythmen, Motive und Spielweisen bis hin zur Vehemenz der „Einstürzenden Neubauten“.
Mittlerweile sind Wolfe und Lang Hochschullehrer; einzig Gordon arbeitet als freiberuflicher Komponist. Ihren stilistischen Grundentscheidungen blieben sie ebenso treu wie ihren Anleihen bei der Minimal-Music – mit der Ausnahme, dass auf dem Album ausschließlich akustische Instrumente wie Flöten, Klavier, Metall-Gegenstände, Klarinetten, Violinen, Gitarre, Violoncello, Akkordeon, Harmonika und Sandpapier eingesetzt werden. Beatles-Kenner erinnern sich eventuell an die Zeilen „Blackbird singing in the dead of night / Take these broken wings and learn to fly“ aus dem Song „Blackbird“ auf dem Weißen Album. Wer nun geschickt arrangierte Coverversionen erwartet, wird enttäuscht. In ihren rundum neuen, rhythmisch komplexen Kompositionen meiden die drei jegliche Bezüge auf die Klangwelt der Fab Four. Die Assoziation an die Amsel beruht eher auf dem ausführenden Sextett „Eighth Blackbird“, einem Spezialensemble für die Musik der Gegenwart.
David Lang teilte seine Komposition „These Broken Wings“ in drei Abschnitte, zwischen denen Michael Gordons „The Light Of The Dark“ und Julia Wolfes „Singing In The Dead Of The Night“ platziert sind – eine unglückliche editorische Entscheidung, die letztendlich die Entwicklungslinie der Teile zerstört. In Part 1 tapsen die Töne aus Klavier, Flöten, Glockenspiel und anderen Instrumenten um ein Kontrabassmotiv, in Part 2 (passacaille) entsteht durch lange Töne eine fast weinerliche Grundstimmung, und in Part 3 (learn to fly) lässt der Komponist das Vögelchen nach Rumgehopse über nervösen Minimal-Figuren mit einer strahlenden Violinmelodie abheben.
In Michael Gordons „The Light Of The Dark“ dominiert ein sägend-schnarrendes Cello, an dem sich tänzerische Melodien von Violine, Flöte, Akkordeon und andere Instrumenten reiben. Am feinsinnigsten fällt Julia Wolfes fast neunzehnminütiges „Singing In The Dead Of The Night“ aus. Sie mengt minimalistisches Pianohämmern mit langen, stehenden Tönen, die manchmal wie Insekten sirren. Aus ihnen löst sich wie die Erinnerung an Atemgeräusche und Fußbodenwischen ein monotones, wohl mit Sandpapier erzeugtes Geräusch oder eine Erinnerung an den Alarmton der Pulsüberwachung in der Intensivstation, wenn bei einem Patienten das Herz zu schlagen aufgehört hat. Symbolisiert das darauf folgende, hektische Piano-Wirrwarr die Nervosität des Teams, das den Patienten mit dem Defibrillator zurückholen will? Es scheint erfolglos, denn ein Flashback bringt Erinnerungen an kleine Melodien ins langsam abebbende, von einem unruhigen (Geigen-)Puls geprägte Geschehen, das ein Wischgeräusch abrupt beendet.
Amerikanische Musik? Ziemlich. Ein Hauch von Louis Andriessens und Michael Nymans europäischer Minimalismus-Variante ist auch zu spüren. Dass die Aufnahmen durch die Gäste der Soirée Çedille 2018, einer jährlichen Benefiz-Veranstaltung zu Gunsten des Plattenlabels, finanziert wurde, entspricht eher der amerikanischen als einer europäischen Tradition. Das anspruchsvolle Label lebt – anders als die Branchenriesen – von Spenden.

Werner Stiefele, 03.10.2020


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