DG/Universal 002894860274
(63 Min., 1 & 7/2019)
Man hört und staunt: Der sängerische Weg des 1967 geborenen Baritons Matthias Goerne nahm ja durchaus überraschende Wendungen. Angetreten zunächst als neuer Star am Himmel des deutschen Kunstliedes, wandte er sich bald auch der Oper zu und entwickelte seine stimmlichen Möglichkeiten dahingehend weiter, dass er auch Partien wie Wozzeck und Wotan zu übernehmen in der Lage war. Wer dachte, diese beträchtliche Ausweitung des Repertoires müsste zwangsläufig zu Schäden, zumindest zu Einbußen im Hinblick auf die im Liedgesang erforderlichen Feinheiten führen, der ist nun überrascht: Am mezza voce gibt es nichts auszusetzen, in der Übergangslage agiert Goerne mit einer Weichheit und Lockerheit, die eine stufenlose dynamische Gestaltung der Kantilenen auch im oberen Bereich und eine perfekte Anbindung der oberen an die mittlere Lage ermöglicht. Zu hören ist das etwa in Hans Pfitzners Lied „Ist der Himmel darum im Lenz so blau“ oder ganz besonders natürlich in Richard Straussʼ „Morgen“. Andererseits scheint Goerne seine schon immer kernige, aber anfangs nicht ganz offene tiefere Lage mit den Ausflügen ins schwere Fach maßgeblich ausgebaut zu haben: Im zweiten der „Wesendonck-Lieder“ etwa kommt er der Wotan-Sphäre stimmlich recht nahe. Stark reduziert ist insgesamt jene früher oft wahrzunehmende Festigkeit der Zunge, die man häufig als „Edel-Knödel“ mit Goernes Timbre in Verbindung gebracht hat. Hier und da ist stattdessen eine leichte Nasalität des Klanges wahrzunehmen, die aber den positiven Gesamteindruck kaum stört. Mit Blick auf die Aufnahmetechnik dagegen könnte man die Frage stellen, warum die gesamte Performance in einen relativ halligen, dadurch etwas wattig-weichgezeichneten Klang gehüllt ist: Das Programm erhält dadurch – so empfindet es zumindest der Rezensent – einen leicht unwirklichen Charakter, man hört den Sänger wie durch den Nebel eines Traumes hindurch. Das ist vor dem Hintergrund der stimmlichen Verfasstheit des Sängers wie auch der durchgängigen Aufmerksamkeit des stets ganz im Einklang agieren Begleiters Seong-Jin Cho ein durchaus überflüssiger Effekt. Mehr Direktheit wäre von Vorteil gewesen.
Michael Wersin, 22.05.2021
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