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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Wolfgang Amadeus Mozart bearbeitete im Jahre 1789 im Auftrag des Barons van Swieten Händels Messias. Versuchte er mit seinen massiven Eingriffen in die Partitur dem veränderten Publikumsgeschmack gerecht zu werden, orientiert er sich pragmatisch an den Aufführungsbedingungen, oder repräsentiert seine Version tatsächlich den "klassischen" Blick auf die Barockzeit? Die hinzugefügten Harmoniestimmen beispielsweise, ausgeführt von Holz- und Blechbläsern, die Händel weitgehend nicht vorgesehen hatte, weisen voraus auf romantische Bearbeitungstechniken barocker Werke, bei denen mangels Kenntnis der Generalbasspraxis der normalerweise von den Akkordinstrumenten der Continuogruppe improvisierte Part einfach für Bläserquartett auskomponiert wurde; allerdings war zu Mozarts Zeiten das Generalbassspiel noch keineswegs ausgestorben und vergessen. Die Abtretung erster Abschnitte von Chorsätzen an das Solistenquartett hingegen ist eine Art des abgestuften Einsatzes der vorhandenen Kräfte, derer sich einerseits auch Johann Sebastian Bach gelegentlich bediente, die andererseits aber auch irrigen Vorstellungen von einer "Terassendynamik" in der barocken Musik Vorschub leistet.
Wenn es schon schwer ist, im Falle von Mozarts Bearbeitung praktische und ästhetische Erwägungen auseinander zu halten, so bedeutet Helmuth Rillings Interpretation von Mozarts Version nochmals eine erhebliche Brechung sowohl der barocken als auch der klassischen Gestalt des Werks: Mit seinem unbekümmerten, biederen Kapellmeister-Dirigat setzt der rührige Stuttgarter Maestro weite Teile der Partitur in ein gleichförmiges Stampfen um, innerhalb dessen der Text, auf den Rilling als theologisch gebildeter Musiker ja großen Wert legt, zwar mittelbar durch deutliche Deklamation gut verständlich bleibt, aber nicht mehr im Sinne der musikalischen Rhetorik eine wirklich enge Verbindung zur melodischen Phrase eingeht. Fast ein wenig beklemmend ist es, zu beobachten, wie Rilling über buchstäblich jede der zahlreichen Hemiolen an Abschnittsenden stur mit betonstarrem Dreierschlag hinwegdirigiert. Unter seinen Solisten pflegt besonders Cornelia Kallisch den behaglich-pastosen Betroffenheitsbarockstil vergangener Jahrzehnte, bei dem an die Stelle des Affekts die subjektive Empfindsamkeit des Interpreten tritt. So kann man, kurz gesagt, diese Darbietung in zweierlei Hinsicht als historisches Dokument betrachten: Mozart bearbeitete Händel, und Rilling bietet beide Schichte des Werks wiederum aus seinem Verständnis älterer Musik heraus, das - zumindest noch zum Zeitpunkt der hier festgehaltenen Aufführung (sie liegt schon länger zurück, aber das Aufnahmedatum fehlt) - von der Ablehnung jeglicher Einbeziehung historischer Quellen zur Art der Interpretation geprägt ist.

Michael Wersin, 01.09.2007


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