Erroll Garners „Concert By The Sea“ vom 15. September 1955 zählte schon kurz nach der 1956 erfolgten LP-Veröffentlichung zu den Sternstunden der auf Tonträger festgehaltenen Konzerte und zu den zeitlosen Bestsellern. 2015 erschien zum 60-jährigen Jubiläum des Konzerts eine komplette Konzertdokumentation von rund 100 Minuten, die neun weitere Titel sowie die Ansagen zu den beiden Sets enthielt. Dieser beseelten Session von 1955 kommen die nun entdeckten Aufnahmen vom 17. Januar 1959 in der Symphony Hall von Boston nahe. Lediglich „Bernie’s Tune“ und der Rausschmeißer „Erroll’s Theme“ standen bei beiden Konzerten auf dem Programm; ansonsten bietet die Disc sieben 1955 nicht gespielte Songs in einer ähnlich duftigen, heiteren und gleichzeitig hoch konzentrierten Atmosphäre. Ähnlich wie 1955 erweist sich Garner auch 1959 als Unterhalter allererster Güte – Kritiker nahmen ihn deshalb damals nicht ernst und kanzelten ihn oft als Barmusiker ab. Ob der scheinbaren Leichtigkeit seiner Auftritte wurde meist überhört, wie raffiniert er die Rhythmen von rechter und linker Hand gegeneinander ausspielte, ohne sich in deren Komplexität zu verheddern. Vergnügt stattete er jeden Song mit einer Fülle von Trillern aus und durchbrach sein eher dezentes Spiel durch kraftvolle Momente. Völlig unbeschwert springen die Töne aus dem Klavier, und wenn Garner die Themen ausreichend ausgeschmückt hatte, ballte er sie in dichte Akkordwolken, aus denen er sie in feingliedrigen Varianten neu aufblühen ließ. Der Kontrabassist Eddie Calhoun unterstützte 1959 Garners Melodienreigen ähnlich intuitiv wie 1955 im Sunset Auditorium im kalifornischen Carmel, während der Schlagzeuger Kelly Martin etwas weniger flexibel auf den Bandleader einging als sein Vorgänger Denzil DeCosta Best. Dank der Frische und Lebendigkeit der einzelnen Titel ist Bostoner Auftritts eine interessante Ergänzung zu den Aufnahmen von 1955.

Werner Stiefele, 16.10.2021

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