Harmonie mundi france HMC 801928.29
(138 Min., 1/2006) 2 CDs, SACDs
Zu vermelden ist die Wiederentdeckung des bekanntesten Händel-Werkes! Zwar firmierte der "Messiah" als "geistliches Oratorium", doch in der Neueinspielung von René Jacobs entpuppt sich das Werk als eine der aufwühlendsten, farbigsten, kontrastreichsten, ergo: kurzweiligsten Bühnenwerke, die je auf einem barocken Theater das Licht der Welt erblickt haben. Wer im dreiteiligen Libretto, das den Weissagungen von der Heraufkunft des Messiahs, seinem Leidensweg und seiner siegreichen Apotheose gilt, wie gewöhnlich eine religiös-besinnliche Erbauung erblicken mochte und mag - gerade auch jetzt wieder in der Vorweihnachtszeit -, der sollte die Finger von dieser Einspielung lassen, denn er wird sein Weihestück kaum wiedererkennen!
Der Großmeister der historisch informierten Aufführungspraxis verscheucht jede Anwandlung von romantisierender Frömmigkeit und heroischem Bombast. Dabei orientiert er sich an den Aufführungen zu Händels Lebzeiten, bei denen vorwiegend Opernkünstler zugange waren, deren erste Profession die Schauspielerei war! Das stieß damals manchen Kritikern, die sich über jämmerliche Gesangsdarbietungen beklagten, bitter auf, während frömmelnde Zeitgenossen (damals wie wohl auch heute) das ganze "Theater" verdammten, mit dem das christliche Glaubensbekenntnis zum sündigen Opernspektakel herabgewürdigt wurde und wird. Glaubt man aber dem Gros des damaligen Publikums und glaubt man jetzt wieder René Jacobs, dann war gerade der bühnendramatische Gestus des Oratoriums der Schlüssel zu seinem Erfolg. Jedenfalls bejubelte man zu Händels Zeit die hinreißende Ausdruckskunst der Darsteller.
Das gilt jetzt wieder für Jacobs‘ Solisten, die mit ihren glutvollen und vibratoreichen Stimmen kongeniale Sängerschauspieler genannt werden müssen. Mit jeder Faser ihres Körper-"Instruments", mit heißem Herz- und Bühnenblut sozusagen, verlebendigen sie die höchst plastischen und kontrastreichen biblischen Texte. Die Emphase, mit der sich vor allem Kobie van Rensburg und Neal Davies ihren furiosen Tenor- respektive Basspartien widmen, ist geradezu körperlich zu erfahren und dürfte kaum zu steigern sein. Und wer nach dem technischen Können fragt, der kann in puncto Virtuosität und eigenständiger Verzierungskunst kaum gewieftere Barockexperten finden.
Dass sich die Solisten dem fundament-betonten, gleichwohl höchst agilen Klang des Freiburger Barockorchesters einpassen, dass umgekehrt das Orchester in nahezu allen Arien als gleichwertiger Partner neben den Solisten zu vernehmen ist, gehört zum revolutionären Perspektivenwechsel, den Jacobs von seinen Akteuren wie von den Hörern verlangt - ein Perspektivenwechsel, der z. B. auch die so oft ins Verträumt-Verschlafene, um nicht zu sagen: Spießbürgerlich-Romantische abgleitende Pastorale ins Barock-Irdische zurückholt, wenn die Laute mit ihrem herb-realistischen Dudelsack-Ostinato bukolische Töne anschlägt. Darüber hinaus irritiert in den meisten Nummern aufs angenehmste manch ungewohnte Phrasierung und Akzentsetzung.
Nicht ganz an die Glanzleistungen von Solisten und Orchester reichen die Meriten des Clare College-Chores heran, der bei aller Reaktionsfreudigkeit doch phasenweise an seine virtuosen Grenzen stößt (woran allerdings auch Jacobs rasante Tempowahl "schuld" ist). Überdies ließen die Toningenieure den Chor allzu sehr im Hintergrund agieren, so dass sich mitunter der Eindruck kleinerer Verschleppungen (etwa in "The Lord gave the world") im Dialog mit dem Orchester einstellt. Den "Hits", insbesondere dem "Hallelujah", versucht Jacobs (ähnlich wie Harnoncourt) mit ungewohnten dynamischen Finessen beizukommen. Bezeichnenderweise aber "braucht" man diese traditionellen Highlights im Grunde nicht mehr, um Jacobs' Lesart dieses allzu malträtierten Werkes als aufregende, ja abenteuerliche Frischzellenkur zu feiern.
Christoph Braun, 03.11.2006
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