Er ist immer noch der große Unbekannte unter den Komponisten, die Mitte des 20. Jahrhunderts Erfolge feierten. Dabei war der Böhme Bohuslav Martinů (1890-1959) ähnlich von den politischen Entwicklungen auch künstlerisch beeinflusst wie etwa Igor Strawinsky oder Dmitri Schostakowitsch. Wie diese komponierte er mal in offener Tonalität, mal neoklassisch, mal impressionistisch. Und wie Strawinsky trieb ihn das Schicksal um die Erde von Prag nach Paris, in die USA, nach Italien, schließlich in die Schweiz. Auch Martinůs buntscheckiges Œuvre umfasst Opern, Sinfonien, Instrumentalkonzerte, Kammermusik. Bei der tschechischen Staatsplattenfirma Supraphon, wo man sich schon lange um den Landsmann hingebungsvoll kümmert, ist jetzt eine fein produzierte, sehr hörenswerte Neueinspielung mit späten, fast abgeklärt klassisch klingenden Orchesterwerken aus den Fünfzigerjahren erschienen. Tomáš Netopil leitet sehr könnerisch, umsichtig und farbensatt auffächernd das Prager Radiosinfonieorchester. Neben der einleitenden, markant tönenden Ouvertüre für Orchester und dem sinfonischen Präludium „Der Felsen“ bilden drei Triptychen das akustische Rückgrat der Scheibe: der synkretistische Malereibeschreibungsversuch „Les Fresques“, der sich mit Piero della Francescas Ausmalung der Kirche San Francesco in Assisi auseinandersetzt und zu ähnlich „festlich starren“ (Martinů) Klängen findet wie die Farben des Renaissance-Künstlers. Die „Parabeln“ beziehen sich auf ein Buch von Antoine de Saint-Exupéry, sind störrischer, expressiver. Martinůs letztes Orchesterwerk sind schließlich die „Estampes“ (Gravuren), elegant verhaltene Musik, die unbedingt das Kennenlernen lohnt.

Matthias Siehler, 22.01.2022

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