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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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„Ghosts“

Michael Wollny Trio

ACT/Edel 1099562AC1
(38 Min., 6/2022)

Songs seien Gespenster, die nach einer lebendigen Stimme verlangten, hat der irische Poet Brendan Kennelly einmal formuliert. Nicht ohne Grund steht dieses Zitat als Motto groß über Michael Wollnys Trio-Album „Ghosts“. Denn Wollny, der wie kaum ein anderer für paranormale Klavieraktivitäten im europäischen Jazz steht, lässt sich auf der Einspielung gewissermaßen von Liedern heimsuchen.
Lieder, die einen direkten Bezug zu Geistergeschichten haben, sind darunter, wie Franz Schuberts „Erlkönig“ oder der Folksong „She Moved Through the Fair“. Aber auch Songs, die versteckt in den Köpfen von Wollny und seinen Mitmusikern Tim Lefebvre (E- und Kontrabass) und Eric Schaefer (Drums) schlummerten und in ungewöhnlichen Arrangements zu neuem Leben erweckt werden. Etwa George Gershwins „I Loves You, Porgy“, das mit giftig-unheilvollen Noten gesättigt ist und nicht von der Stelle zu kommen scheint. Oder Duke Ellingtons „In a Sentimental Mood“, das in dem von Schaefer erdachten Wiedergänger cool dahertrottet wie ein Ghul auf gemütsberuhigenden Drogen.
Überhaupt merkt man dem Trio an, wie viel Spaß es ihm macht, seine Spukerzählungen vorzutragen. Da darf Drummer Schaefer im Titelstück „Ghosts“ Metall und Ketten rasseln lassen wie ein altes Schlossgespenst oder im „Erlkönig“ panisch davongaloppieren wie der verfolgte Vater mit seinem Kind. Lefebvre wiederum gibt auf dem Kontrabass den irren Prediger in Nick Caves und Warren Ellis’ „Hand of God“. Die Nummer bietet auch dem Bandleader die Gelegenheit zum Ausbruch. Mag Wollny sonst stark auf repetitive Muster und die Tonsprache der frühen Moderne setzen, als auch die Musik das Unterbewusste für sich entdeckte – hier spielt er sich in einen regelrechten Rausch und wird in einer Art Seelenwanderung zu seinem großen Piano-Mentor Joachim Kühn.
Wenn man dann noch die unorthodoxe Klanggestaltung hinzunimmt, die mit Verzerrungen und dem Hall unwirklicher Räume spielt, lässt sich getrost feststellen: Dies ist die wohl unheimlichste Jazzplatte des Jahres.

Josef Engels, 08.10.2022


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