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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Heiner Goebbels

„A House of Call“

Ensemble Modern, Vimbayi Kaziboni

ECM/Universal 002894858039
(100 Min., 9/2021) 2 CDs

Heiner Goebbels ist von jeher ein wandelndes Bündel und Lexikon verschiedenster Sprachen, Stimmen, Stile. So verschmelzen in seinen Werken Jazz und Rock, neue und traditionelle, oftmals aus sehr fremden Ländern stammende Klänge zu etwas zusammen, bei dem sich bei aller Vertrautheit doch stets neue Hör-Horizonte auftun. Zudem lässt sich Goebbels für seine Musiktheater-Projekte wie „Landschaft mit entfernten Verwandten“ oder Hör-Collagen wie „Stifters Dinge“ vom Klang der menschlichen Sprache leiten. Ob nun in Form auch von experimenteller Literatur à la Gertrude Stein oder anhand historischer Tondokumente, zu denen Gesänge aus Papua-Neuguinea genauso gehören können wie O-Töne des französische Ethnologen Claude Lévi-Strauss und des Beatnik-Autors William S. Burroughs. Nun also erscheint pünktlich zu Goebbels’ 70. Geburtstag die Einspielung seines jüngsten Großprojekts „A House of Call“, das vom Ensemble Modern unter Vimbayi Kaziboni auch 2021 uraufgeführt wurde. Als ein „imaginäres Notenbuch“ hat Goebbels seine auf vier Kapitel verteilte Wanderung durch sein persönliches Schallarchiv genannt. Da hört man den Dramatiker Heiner Müller, wie er seine (antikapitalistische) Sisyphos-Adaption „Immer den gleichen Stein“ rezitiert. Aus dem Jahr 1931 stammt die Aufnahme eines südwestafrikanischen Kinderchors, der den Choral „Nun danket alle Gott“ singt. Und während gleich zu Beginn, in „Introitus“, Goebbels an den Anfang seiner auch aktiven Musiker-Zeit bei der Avant-Rockband Cassiber zurückkehrt und dabei zugleich dem wichtigen Vorbild Pierre Boulez huldigt, wehen aus fernster Zeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgenommene, armenische Lieder hinein. Für all diese musikalischen Rückblicke hat Goebbels nun einen neuen Rahmen komponiert, der von dem Ensemble Modern mit all seiner Erfahrung mit dem reichen Goebbels-Soundspektrum beeindruckend gestaltet und geformt wird. Von Bigband-Drive über magisch-melancholische Instrumentalgesänge bis hin zu bedrohlich wirkenden Akkordballungen reicht hier der immer auch respektvolle, fantasievolle Umgang mit den akustischen Fund- und Erinnerungsstücken. Ganz zum Schluss singen dann die Musiker wie ein Gebet Samuel Becketts „What When Words Gone“. Doch so atemlos man diesem geheimnisvollen und zugleich ungemein wunderschönen Gesang über den (möglichen) Verlust von Sprache lauscht – mit seinem „House of Call“ zeigt Goebbels einmal mehr, dass er weiterhin einer der klangsprachgewaltigsten Komponisten der Gegenwart ist.

Guido Fischer, 15.10.2022


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