Als Gennadi Roschdestwenski 1978 für drei Jahre die Leitung des BBC Symphony Orchestra übernahm, war er noch ein hochdekorierter Sowjetbürger. Als er 1997 erneut zurück auf die Insel kam, um in Manchester das BBC Philharmonic zu leiten, hatten sich zwar auch für ihn die politischen Umstände radikal geändert. Doch sein Blickwinkel auf das sinfonische Schaffen Dmitri Schostakowitschs und damit eines Komponisten, dem er stets eng verbunden war, hatte sich kaum verändert. Was nun auch zwei historische Aufnahmen dokumentieren, die jetzt erstmals auf CD erschienen sind. Von 1978 stammt der Live-Mitschnitt von Schostakowitschs 4. Sinfonie aus der Royal Albert Hall in London und mit dem BBC Symphony Orchestra. Fast zwanzig Jahre später dirigierte Roschdestwenski das BBC Philharmonic sowie die 11. Sinfonie.
Beide Werke kannte Roschdestwenski natürlich schon längst wie seine Westentasche. Immerhin hatte er die Vierte 1962 erstmals im Westen aufgeführt. Bei der Wiederbeschäftigung mit ihr wie auch mit der vielleicht noch dämonischeren 11. Sinfonie konnte er nun die beiden Rundfunkorchester nicht nur zu absoluten Höchstleistungen anspornen. Die Virtuosität und Brillanz, mit der die beiden Klangkörper da auftrumpfen, stehen fernab aller banaler, oberflächlicher Knalleffekte ganz im Dienst des Ausdrucks, der Spannungen und Entladungen, der Expressivität im tief Düsteren wie im übergrell Blendenden. Die von Roschdestwenski eingeforderte, klangliche Differenzierungskunst ist dabei einfach atemberaubend und mitreißend. Und dass Roschdestwenski selbst in den sowjetischen Hochzeiten kein linientreuer Pult- und Parteisoldat war, sondern ein großer, anteilnehmender Künstler, spiegelt sich nicht zuletzt in der Vierten mit all ihrem leidgeplagten, existenziellen Tosen wider.

Guido Fischer, 22.10.2022

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