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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Franz Schubert

„Schwanengesang“

Andrè Schuen, Daniel Heide

DG/Universal 002894863313
(55 Min., 3/2021)

Mit seiner virilen, im Timbre auf der dunkleren Seite liegenden Baritonstimme präsentiert Andrè Schuen einen kraftvollen, zupackenden und durchaus mitreißenden „Schwanengesang“. Sucht man den Vergleich mit älteren Interpretationen, so wird man konstatieren, dass Schuen deutlich näher bei Bryn Terfel (der 1991 eine großartige Version des Zyklus’ vorgelegt hat) als etwa bei Dietrich Fischer-Dieskau zu verorten ist. Schuen findet in puncto Wort-Ton-Gewichtung seinen eigenen differenzierten Weg, wie schon das erste Lied belegt: Grundsätzlich gehört ein dichtes Legato zum Spektrum seiner Ausdrucksmittel („Wenn sie am Ufer …“), aber es steht selbst in einem so lyrischen Lied wie der „Liebesbotschaft“ nicht über allem. Gleich am Beginn zeigen sich einige Eigenheiten, die sich im weiteren Verlauf als typisch für Schuens Stil erweisen sollen: Gelegentlich „flieht“ er von den klangtragenden Vokalen recht schnell zu den Konsonanten (im „Bächlein“ etwa gerät das „ä“ stets sehr kurz). Treten Achtelnoten in Zweiergruppen auf, dann führt er sie häufig leicht inegal aus, indem er das erste Achtel kürzt und das zweite ein wenig zu früh eintreten lässt („bringe die Grüße des Fernen ihr zu“). Später im Lied („Bächlein, erquicke …“) führt dies im Zusammenhang mit absteigenden Sekundintervallen zu veritabler Seufzermotivik im barocken Sinn.
All diese Details bringen ein Aufrauen der sprachlich-melodischen Oberfläche mit sich, das den Vortrag belebt und interessant macht – auch wenn die Ursachen für diese interpretatorischen Eigenheiten nicht ohne Weiteres auszumachen sind: Handelt es sich um Manierismen, oder gehen sie in irgendeiner Weise mit der Aussage des Textes einher? Manches davon findet sich jedenfalls auch im letzten Lied, der „Taubenpost“, wieder. Dazwischen wartet Schuen gelegentlich auch noch mit einem anderen stimmlichen Ansatz auf: Deutlich brustiger und auch kehliger geht er den „Atlas“ an, dabei quasi aus den Tiefen seines Körpers Kraft schöpfend. Bei den Spitzentönen führt dieser Ansatz zu einem „schlackernden“ Ausklingen des Tones („Leibe“) bzw. zu einer beträchtlichen Verfärbung des Vokals („Schmerzen“). Man kann solche naturalistischen Interpretationsmittel als eine „gestische“ Herangehensweise an das Bild des schwer tragenden Atlas verstehen. Alles in allem ein abwechslungsreicher, persönlicher, in seinen Extremen mutiger „Schwanengesang“, der zweifellos Diskussionsstoff bietet.

Michael Wersin, 03.12.2022


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