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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Wer einen Felix Mendelssohn in der Familie hat, braucht sich um die würdige Ausgestaltung von Familienfeiern nicht zu sorgen: Ein mehr als einstündiges, eigens komponiertes Liederspiel für vier Sänger, einen Sprecher und Orchesterbegleitung vom 20-jährigen Sprössling zur Silberhochzeit serviert zu bekommen - mehr kann man sich als bürgerliches Elternpaar wohl kaum wünschen. Etwa 120 Gäste lauschten im Dezember 1829 der Uraufführung der "Heimkehr aus der Fremde" im Hause des Berliner Bankiers Abraham Mendelssohn; die Gesangs- und Instrumentalpartien wurden von befreundeten Profi-Musikern ausgeführt. Freilich hat Mendelssohn, dem privaten Anlass gemäß, vieles in seinem Werk "ganz persönlich gemeint", wie der ebenfalls beteiligte Freund und Sänger Eduard Devrient überlieferte; man kann davon ausgehen, dass man als Außenstehender den größten Teil der textlichen und musikalischen Anspielungen nur mit zuvor erworbenem Hintergrundwissen zu verstehen in der Lage ist. Fraglich scheint daher, wie sinnvoll es war, dass Mendelssohns Gattin gemeinsam mit dem Herausgeber seiner Werke nach seinem Tod für eine Veröffentlichung des Liederspiels sorgte; fraglich ist darüber hinaus auch, ob sich dieses zweifellos sehr reizvolle Werk - schon die ersten Takte der Ouvertüre sind mit ihrem edlen, hehren, luziden Tonfall unverkennbar schönster und reinster Mendelssohn - dazu eignet, eine bühnendramatische Facette in seinem Schaffen, mit der er zu Lebzeiten keinen Erfolg hatte, wirkungsvoll ans Licht zu zerren: Ist nicht allein schon die auf das Familienereignis zugeschnittene Handlung vom zunächst unerkannten, heimkehrenden und verlorenen Sohn viel zu belanglos und bieder, um ein größeres Publikum zu begeistern? Entsprechend kurz war die Rezeptionsgeschichte des Stücks in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und was die Musik angeht: Trotz zahlreicher schöner Episoden und Momente ist die "Heimkehr aus der Fremde" in ihrer Bedeutung freilich nicht mit Mendelssohns sinfonischem oder geistlich-vokalem Schaffen auf dieselbe Stufe zu stellen - auch wenn Mendelssohn selbst noch längere Zeit nach der Uraufführung - mit kaum über zwanzig Jahren! - das Stück in Briefen als "seine beste Composition" bezeichnete.
Den Gesangssolisten verlangt Mendelssohn einiges ab in diesem Liederspiel: Durch einen beträchtlichen Tonumfang zeichnet sich etwa die Partie des Hochstaplers Kauz aus; Christian Gerhaher meistert die Rolle in der vorliegenden Aufnahme vorzüglich. Darüber hinaus gibt es auch Schwächen: Allzu hypertroph für eine nicht-familiäre Situation geht Stefan Müller-Ruppert die Partie des Sprechers an; indes lässt sich hier die Komik nicht durch übertriebenes Agieren herbeizwingen. Im Bereich der Frauenstimmen hätte ebenfalls mehr Schlichtheit im Vortrag den oft liedhaften Melodien gut getan; unverständlich in diesem Zusammenhang, warum Helmuth Rilling immer noch beharrlich auf Sänger aus der historisierenden Szene verzichtet: Solche hätten mit vibratoarmem Gesangsstil und attitüdenfreier Herangehensweise dem netten kleinen Familien-Drama viel besser getan.

Michael Wersin, 01.09.2007


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