Wer Ben Wendel nur als Saxofonisten der deftigen Post-Jazzrock-Formation Kneebody kennt, wird von dieser Einspielung ziemlich überrascht sein. Denn auf „All One“ widmet sich der sonst gerne mit elektronischen Verfremdungsmöglichkeiten arbeitende Kanadier seinen musikalischen Vorlieben aus der Kindheit. Und die liegen für den Sohn einer Opernsängerin in der Klassik.
Das Fagott war neben dem Saxofon das erste Instrument, das Wendel spielte. Als 13-Jähriger habe er sich daran versucht, Holzbläserarrangements von Gustav Holsts „The Planets“ zu verfassen, beschreibt er den Nukleus seiner mittlerweile neunten Aufnahme unter eigenem Namen.
Was bedeutet: Anstelle eines Harmonieinstruments oder einer jazztypischen Rhythmusgruppe bilden aufwendig orchestrierte Aufschichtungen von Fagott-, Tenor- und Sopransaxofon-Stimmen auf „All One“ die Grundlage für Begegnungen mit prominenten Gästen. In dem Stück „Wanderers“ mit Terence Blanchard als Mitstreiter an der Trompete dominieren drängende Minimal-Patterns von der Begleit-Saxofon-Armada, über die Wendel ein schleppendes Thema legt, das klingt wie eine sich tapfer abmühende Bergwandergruppe. Im zarten „Throughout“ lässt Bill Frisell dann seine Gitarre zum Holzgebläse singen, das in „Speak Joy“ mit der Flötistin Elena Pinderhughes mal an Holsts „Venus“, mal an Wayne Shorters Melodik auf seinen orchestral geprägten Einspielungen „High Life“ oder „Alegría“ denken lässt.
Ein Wechselbad ist hingegen die Kombination von Gesang und avancierter Arrangierkunst, die die von Cécile McLorin Salvant und José James gesungenen Standards „I Loves You, Porgy“ und „Tenderly“ bestimmt. Da übertreibt es Wendel zuweilen mit seinen geblasenen Akkordbrechungen und umrankenden Linien und lenkt die Aufmerksamkeit zu sehr vom Gehalt der Songs weg. Wohingegen sich der Albumabschluss „In Anima“ mit dem Pianisten Tigran Hamasyan ausgesprochen reduktionistisch gibt: In dem an eine Totenklage gemahnenden Stück unterhalten sich hauptsächlich nur ein Klavier und ein Tenorsaxofon. Letzteres allerdings unter Einsatz eines psychedelischen Rockgitarren-Verzerrers. Da leuchten dann doch wieder die Vorlieben des erwachsenen Ben Wendel auf.
Josef Engels, 27.05.2023
Diese CD können Sie kaufen bei:
Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Für diese Rezension gibt es noch keine Kommentare.