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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Tokyo Solo

Keith Jarrett

ECM/Universal 987 3186
(110 Min.) 1 DVD

Beim "Köln Conzert" war noch alles klar. Keith Jarrett, damals ein junger, aufstrebender Jazzpianist, improvisierte - wohl auch vom Ärger über den unzulänglichen Flügel angetrieben - ungestüm und emotional ein Solokonzert mit vielen Bezügen auf die Urkraft der Spirituals. Das war 1975. Rund 27 Jahre und 15 Soloveröffentlichungen später ist sein Erfahrungsschatz bei seinem 150. Konzert in Japan wesentlich breiter und tiefer - immerhin hat er inzwischen neben einigen Jazzplatten für die Ewigkeit auch Werke von Johann Sebastian Bach, Friedrich Händel, Dimitrij Schostakowitsch und dem Mystiker Georg Iwanowitsch Gurdjieff eingespielt. Offen und ohne Vorsätze gehe er seine Solokonzerte an, berichtet er in Interviews. In Tokio faszinierten ihn immer wieder dichte Cluster, aus denen er in weiche, melodische Passagen wechselte. Dabei trieb er die abstrakten Tonbewegungen so weit voran, dass der Eindruck entstand, er habe sich in den Monaten vor dem Konzert intensiv mit Conlon Nancarrows Kompositionen für mechanische Klaviere befasst und nun einen Weg gefunden, verschlungene, oft zu Wolken geballte Tonfolgen in ein warmes, menschliches, gefühlvolles Spiel zu übertragen. Drei Tage zuvor, am 27. Oktober 2002, hatte Keith Jarrett bei dem auf der Doppel-CD "Radiance" veröffentlichten Konzert in Osaka kürzere Formen bevorzugt. In Tokio bestand das erste Set aus drei Improvisationen von knapp 14, 10 und mehr als 20 Minuten, wobei jede in mehrere Phasen mit unterschiedlicher Spielhaltung und Intensität gegliedert war. Das zweite, aus fünf Improvisationen bestehende Set ist wesentlich melodischer - und auch melancholischer - angelegt. Als Zugaben gibt es drei Standards: eine zärtliche Version von "Danny Boy", eine anfangs brüchige, später zupackende Fassung von Jerome Kerns "Old Man River" und ein nachdenkliches "Don't Worry 'bout Me". Nein, Sorgen braucht man sich um Keith Jarrett keine mehr zu machen. Er hat das "chronic fatique syndrome" überwunden, das ihn ab Herbst 1996 rund zwei Jahre lang lahm gelegt hatte. Obwohl er zwischendurch rasantere Tonbewegungen als je zuvor erklingen lässt, ist ein Hauch von jener Gelassenheit und inneren Ruhe zu spüren, die sein 1998 eingespieltes Comeback-Album "The Melody at Night, with You" ausgezeichnet hatte. Die Bildführung entspricht diesem in sich ruhenden Stil. Sie verzichtet auf große Kamerafahrten und konzentriert sich auf jeweils längere Einstellungen mit Studien von Jarretts Mimik, gelegentlichen Beobachtungen der Hände und aus verschiedenen Blickwinkeln aufgezeichneten Totalen. Insofern bildet die DVD Jarretts Jubiläums-Auftritt mit der gebotenen Würde ab.

Werner Stiefele, 01.09.2007


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