Geht es um Spielformen des Jazz, die heute noch ebenso virulent sind wie im vergangenen Jahrhundert, so kommt man an Miles Davis nicht vorbei. Er war der große Entdecker, Ermöglicher und Katalysator. Das Dreigestirn Herbie Hancock, Chick Corea und Keith Jarrett erfuhr letztlich durch das Engagement beim "Prince Of Darkness" jene Glut, mit der es heute am Jazzhimmel leuchtet.
Alle drei Pianisten konnten zu Beginn dieses Jahrhunderts ihren 60sten Geburtstag begehen. Chick Coreas Geburtstagsparty war ein Fest der besonderen Art - nicht zuletzt deswegen, weil der Geist des großen Miles, ohne dass er explizit angerufen worden wäre, in besonderer Weise gegenwärtig war. Bei einem dreiwöchigen Engagement im New Yorker Blue Note konnte Chick Corea die Formationen, mit denen er Jazzgeschichte geschrieben hat und schreibt, auf die Bühne bringen. Seine Partner von einst waren bei bester Laune, spulten kein routiniertes Reunion-Programm ab, sondern spielten sich immer wieder neu freundschaftlich fordernd die Ideen zu. Neun Formationen traten auf, und alle Acts wurden für ein Filmprojekt mit der Kamera festgehalten. Die vorliegende DVD-Box widmet jedem dieser Auftritte eine eigene Disk und enthält als Bonus-DVD den Filmzusammenschnitt mit seinen zusätzlichen Kommentaren.
Die erste DVD zeigt ein berückendes Duo mit Bobby McFerrin, dem charmanten Stimmmagier; als besonderes Schmankerl ist bei zwei Titeln der Banjo-Spieler Bela Fleck zu hören. Es folgt das Programm des legendären ECM-Albums, auf dem sich Chick Corea auch mit Thelonious Monk auseinander setzte, und wie damals sind die Partner der Bassvirtuose Miroslav Vitous und die Schlagzeuglegende Roy Haynes. Roy Haynes spielt auch auf der dritten DVD, stellt gewissermaßen eine Authentizitätsbrücke zu den Originalen des Bud-Powell-Programms dar, das Chick Corea im Quintett mit dem Saxofonisten Joshua Redman, dem Trompeter Terence Blanchard und dem Bassisten Christian McBride mit großer Überzeugung darbietet, war doch Powell sein erster überragender Einfluss. Die vierte DVD erweckt die herrlich sensible Duomusik mit dem Vibrafonisten Gary Burton wieder zum Leben. Disk 5 wird von der Chick Corea Akoustic Band bestritten, mit John Pattitucci am Bass und Dave Weckl am Schlagzeug. Die Energie der Electric Band, in der die drei ja auch spielen, ist ebenso in diesem konventionellen Rahmen spürbar. Die sechste DVD präsentiert Coreas aktuelles Sextett Origin. Sensibilität und melodischer Fluss zeichnen die Musik aus. Ohne Bläser, nur mit Avishai Cohen und Jeff Ballard an Bass und Schlagzeug, ist dieser Aspekt noch betonter auf der achten DVD zu erleben. Doch das grandiose Zwischenspiel des Duetts mit dem Pianisten-Partner Gonzalo Rubalcaba auf der siebten DVD darf nicht vernachlässigt werden; nach der anfänglichen Zurückhaltung des Gastes schlägt diese Begegnung herrliche pianistische Funken. Die neunte DVD ist die Wiederauflage eines Quartett-Projektes, bei dem kompositorische Form-Elemente eine größere Rolle spielen; doch Michael Brecker, Eddie Gomez und Steve Gadd garantieren, dass es mächtig groovend zur Sache geht.
Mit ihren neun bzw. zehn DVDs führt diese Box mit hervorragender Klang- und Bildqualität und angenehm unaufgeregter Kameraführung in die Karriereabschnitte Chick Coreas ein. Faszinierend, wie Chick Corea in den verschiedenen Kontexten stets seine eigene Musik spielt und doch als Ermöglicher und Katalysator seinen Partnern zur größtmöglichen Verwirklichung ihrer wahrhaft großartigen Talente verhilft. So erweist sich Chick Corea, der sich von den Formen der Miles-Davis-Idiomatik viel weiter entfernt hat als etwa ein Herbie Hancock, in einem übertragenen Sinne als geistiger Erbwalter des großen Miles, dessen lodernde Energie einst den kometenhaften Aufstieg der Pianisten-Trinität Hancock-Corea-Jarrett erst ermöglichte.

Thomas Fitterling, 01.09.2007

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