Was wäre der Vorteil einer solchen "authentischen" Aufnahme der Sonaten und Partiten gegenüber einer befeuerten, idiosynkratischen "konventionellen" Darstellung etwa der Chaconne? Größere historische Genauigkeit kann’s nicht sein, denn die verzehrt sich selbst auf der Suche nach dem Nicht-Wissbaren, außerdem dient sie mehr den Wissenschaftlern als den Liebhabern. Auch John Eliot Gardiners Motto, das solle einfach nur "anders klingen als in den letzten fünfzig Jahren", ist inzwischen hinfällig - "anders" klingt es seither nur noch.
Darum finde ich lediglich einen Grund, diese Aufnahme zu empfehlen: Man hört exakter den Komponisten am Werk, hört die Rädchen und Bügel in Bachs Hirn revolvieren - aber verliert gerade darum das, was diese scheinbare Etüdenmusik so einzigartig macht: dass sie exakt kalkuliertes Konstrukt ist und doch auch emotionale Regung, ja affektgeladene Äußerung.
Sigiswald Kuijken ist ein erstklassiger Musiker, kein Zweifel, und er reitet die Originalklang-Welle, die erstaunlicherweise noch nicht verebbt ist, mit dem Charisma des wahren Scholaren. Aber die hochgepflegte Langeweile, bei aller Fingerfertigkeit, die sich beim Abhören dieser zwei CDs einstellt, zielt an der Sache eben doch vorbei: "Etüde" reckt wieder ihr wenig ersprießliches Haupt, blendend geübt und in einer Akustik präsentiert, die ein weites Kirchenschiff vorgaukelt (die Aufnahme entstand im Konzertsaal einer Musikakademie in Siena) sowie den Hörer in einiger Distanz zum Spieler platziert.
Am Ende kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, die Absicht sei gewesen, spielerische Individualität weitestgehend zu tilgen und eine Interpretation nach (vermutetem) "historischen" Idealmaß abzuliefern, quasi-objektiviert also, dem persönlichen Befinden entrissen. Der Ansatz, ich kann mir nicht helfen, hat mich gelangweilt.

Thomas Rübenacker, 01.09.2007

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