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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Psychicemotus

Yusef Lateef

Impulse/Universal 0602498842201
(39 Min., 7/1965) 1 CD

Selten war der Zeitpunkt für die Wiederveröffentlichung eines Albums so passend gewählt, nicht nur weil es vor 40 Jahren aufgenommen wurde und längst ein digitalisiertes Comeback verdient. Yusef Lateef, der große Tenorist und Flötist, feierte am 9. Oktober 2005 gerade seinen 85. Geburtstag, vermutlich so bescheiden und fernab des Rampenlichts wie er lebt, in einem Häuschen, mitten im Wald, fernab des großen Trubels, den um eine noch musikalisch aktive Persönlichkeit seines künstlerischen Ranges herrschen müsste. Zwei Wochen zuvor verstarb der zu wenig beachtete Pianist George Arvanitas, der sich in Frankreich einen Namen als Klavierbegleiter amerikanischer Gaststars gemacht hatte, bevor er 1965 für ein halbes Jahr versuchte, sich auf der anderen Seite des großen Ozeans zu behaupten. Zumindest Yusef Lateef befand ihn für so gut, dass er ihm auf diesem Album mit einem unbegleiteten Klaviersolo, einer Version von Fats Wallers "Ain’t Misbahvin’" vorstellen wollte. Wenige Pianisten hätten damals noch an der Seite eines Originals wie Lateef so bravourös einen musikalischen "Zehnkampf" absolvieren können: Eric Satie steht neben Bop, Abstrakt-Freies neben einer sinnlich-swingenden Ballade. Orientalisch-Meditatives, ausgerechnet das Spiel auf einer Chinesischen Bambusflöte (!) dient Lateef zur Beschwörung des Geistes einer Alt-New-Orleanser Beerdigungsparaden! Alles kein Problem für den Pianisten, den die Franzosen wegen seiner Fähigkeit, alles sofort einzuspielen, respektvoll "Georges Une Prise" nannten. Irgendwie beruhigend, dass so eine Leistung an den vermeintlichen Kleinmeister Arvanitas erinnert und nicht nur die Orgelbegleitung zum unvergessenen 1969er Stöhn-Hit "Je t’aime".
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht freilich der Multiinstrumentalist Lateef, der hier auch auf die Talente des Coltrane-Bassisten Reggie Workman und des Drummers James Black zurückgriff. "Psychicemotus" ist in seiner fast sammelsuriumhaften Vielseitigkeit ein gutes Beispiel für Lateefs Spielhaltung, die damals noch skurril wirkte, aber so viele Tendenzen heutiger Musik vorwegnahm: Afroamerikanische Musik verschiedener Epochen kann ebenso Inspirationsquelle sein wie jegliche Musik anderer Völker und Zeiten. Erfrischend unkonventioneller Umgang mit exotischem Instrumentarium steht dabei gleichberechtigt neben durchaus im Sinne der Tradition stehendem souveränen Tenorspiel. Wie soll man die Leistung eines Jubilars würdigen, der allein schon wegen seines vollen, warmen Tenor-Sounds, seiner Pionierleitung im Gebrauch diverser Flöten und seiner unerschöpflichen Phantasie zu den Großen, den Neuerern, den Individualisten des Jazz gerechnet werden müsste, aber den Begriff "Jazz" grundsätzlich ablehnt und auch mit anderen jazztypischen Vokabeln auf Kriegsfuß steht? Er selbst bezeichnet seine Tonschöpfungen als "autophysiopsychisch", Musik, die aus dem mentalen, seelischen und spirituellen Selbst des Menschen kommt. Also hat er nichts dagegen, wenn man sein Tenorspiel als "soulful", als seelenvoll lobt. Und das ist sie in der Tat!

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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