Wer bei Melissa Walkers Enja-Debüt anhob, den geflügelten Stoßseufzer von "noch 'ner Sängerin" zu artikulieren, dem blieb alsbald die Spucke weg. Die hinreißend hübsche Frau mit dem Charme jugendlicher Unbekümmertheit und dem wachen, intelligent sensiblen Blick kam nicht nur auf dem Cover gut rüber, sondern ihre Interpretationen hielten, was das optische Styling versprach. Sinnliche Phrasierung und mädchenhafte Lebensfreude waren kein Widerspruch.
Jetzt ist Melissa Walker mit ihrer neuesten CD endgültig in der ersten Liga der modernen Mainstream-Sängerinnen angekommen. Sie baut, wie Shirley Horn oder einst Carmen McRae, ganz auf die von innen erfühlte Textgestaltung, die bei ihr zu erregendem Melos wird. Scat, Geschwindigkeitshexerei und andere Mätzchen kommen nicht vor. Emotionale Aufrichtigkeit ist das Ziel des faszinierend eigenständig gestalteten Standard-Programms.
Dabei agiert Walkers Trio immer auf dem Punkt. Ihr regulärer Band-Pianist Shedrick Mitchell ist ein zupackender Orchestrator. Kenny Barron löst ihn als Gast bei zwei Nummern ab und legt der Dame die schönsten Perlenläufe zu Füßen. Auf zwei weiteren Tracks beweist sein Kollege Makoto Ozone, dass er als Meisterschüler-Tausendsassa geschmacksicher sensible Zurückhaltung zu üben vermag. Auf drei weiteren Titeln bilden Stefon Harris' perkussive Marimba- und Vibrafonlinien einen herrlichen Kontrast zur emotionalen Melodieseligkeit der Sängerin. Die wiederum erfährt bei zwei Balladen ebenbürtig funktionale und zum Glück gar nicht weichspülende Unterstützung durch ein Streichquartett.
Thomas Fitterling, 17.05.2001
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