EMI 5 56564 2
(72 Min., 12/1996) 1 CD
Wem britische Sinfonik bislang, einem alten Klischeebild zufolge, zu gleichförmig erschien, der sollte sich von Ralph Vaughan Williams' Dritter und Vierter Sinfonie eines Besseren belehren lassen. Ein schärferer Kontrast ist schlechthin nicht vorstellbar: kontemplativ, sanft und elegisch die Dritte, aufwühlend, fast brutal die Vierte.
Die 1922 uraufgeführte Dritte mit dem Beinamen “Pastorale” wurde seinerzeit von der Kritik als zu idyllisch und konfliktlos abgelehnt - ein besonders respektloser Rezensent prägte die bis heute gern zitierte Redewendung, die Sinfonie erinnere ihn “an eine Kuh, die über den Zaun glotzt”. Tatsächlich jedoch hat das Werk mit Nutztieren jeglicher Art wenig zu tun: In der “Pastorale” verarbeitete Vaughan Williams seine schmerzlichen Erinnerungen an den Weltkrieg.
Wer richtig zuhört, wird in dem Werk denn auch mehr verhaltene Trauer und Leidenschaft entdecken als grüne englische Hügel. Haitinks breit ausladende, doch niemals schleppende Interpretation trifft adäquat den ernsten und nachdenklichen Charakter der Sinfonie. Vielleicht klingt sie unter seinem Dirigat weniger “britisch” als gewohnt, doch ist gerade dies vollauf gerechtfertigt - war Vaughan Williams doch Schüler von Ravel!
In der Vierten Sinfonie von 1935, einem kontrapunktisch dicht gearbeiteten, für Vaughan Williams ungemein aggressiven und dissonanten Werk, wollte man bewußte Bezüge zur bedrohlichen politischen Situation jener Jahre feststellen - doch wiederum weit gefehlt; der Komponist hat außermusikalische Bezüge in seiner Vierten stets abgelehnt. Auch hier findet Haitink zu einer sehr überzeugenden Interpretation, die formale Übersicht mit zupackendem Elan und gelegentlich zugespitzter Dramatik verbindet. Schade nur, dass es dem Klang an einigen Stellen an Transparenz mangelt.
Thomas Schulz, 31.03.1998
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