Hyperion/Codaex CDA 673812
(134 Min., 6/2002 - 7/2002)
Mit dem ausklingenden 19. Jahrhundert endet das lange Schweigen Englands auf dem Gebiet der Komposition bedeutender musikalischer Werke; nach Henry Purcells Tod im Jahre 1695 hatte sich ein eigenartiger Schleier über das einst so reichhaltige musikschöpferische Leben dieses Landes gelegt: Die Schaffenskraft war auf rätselhafte Weise für lange Zeit erlahmt. Umso machtvoller brach sie zweihundert Jahre später wieder hervor; Ralph Vaughan Williams war einer jener britischen Komponisten, die eine neue nationale Schule begründeten, deren Tonfall sich innerhalb kürzester Zeit zu beeindruckender Prägnanz und Unverwechselbarkeit entwickeln sollte. Dass ganz am Anfang Vorbilder aus anderen europäischen Ländern großen Einfluss ausübten, ist mehr als verständlich, aber Ralph Vaughan Williams scheinen diese Anklänge an die Musik benachbarter Nationen sehr gestört zu haben: Anders ist es nicht erklärlich, dass er die in dieser wundervollen Box versammelten frühen Kammermusikwerke zurückhielt (zum Glück aber nicht, wie andere Werke dieser Zeit, vernichtete) und niemals dem Publikum präsentierte.
Große Freude bereitet etwa das Klavierquintett c-moll von 1903, dessen deutliche Anklänge an Brahms, Dvořák oder Fauré immer wieder sehr eigenständigen Ansätzen weichen: Das "spätromantische" Rauschen und Wogen vieler betörend schöner Passagen mündet in ganz originelle harmonische Wendungen oder wechselt sich ab mit kontrapunktisch angelegten, weniger klangsinnlichen Abschnitten. Durch sein bezaubernd schönes, perfekt ausgewogenes und interpretatorisch höchst engagiertes Spiel veredelt das Nash Ensemble dieses Frühwerk ebenso wie das drei Jahre später entstandene Nocturne und Scherzo für Streichquintett: Vor dem Ohr des Hörers entfalten sich üppige Klangwelten von überwältigender impressionistischer Vielfarbigkeit.
Bereits 1898 unternahm Vaughan Williams den Versuch eines Quintetts für Klarinette, Horn, Violine, Cello und Klavier. Mit dieser auffällig brahmsischen Besetzung bewegte er sich zu jener Zeit noch nicht allzu souverän; auch hier gibt es jedoch immer wieder Momente großer atmosphärischer Dichte. Die drei angesprochenen und viele weitere Werke auf diesen beiden CDs sind dazu angetan, dem Bild eines hierzulande nicht sonderlich stark repräsentierten Komponisten mehr Tiefenschärfe zu verleihen. Als großartige Leistung eines der führenden Kammermusik-Ensembles der Gegenwart sind sie außerdem von hohem interpretatorischem Wert.
Michael Wersin, 15.03.2003
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