Hänssler Classics/Naxos 93.901
(195 Min., 1999, 2003, 2004) 1 DVD, Proben, Interviews, Konzertaufführungen: Vorspiele zu
Ein Fall für Amnesty International, zweifellos. Seit fast 40 Jahren werden Orchestermusiker ihrer Seele beraubt, denn immer mehr von ihnen dürfen kein Vibrato spielen! Das Verbot ist zutiefst unmenschlich, denn das Vibrato "entspricht", so ein Kritikerkollege, "einem inneren Bedürfnis des Menschen und stellt seinem Wesen nach das persönlichste Ausdrucksmittel eines Instrumentalisten dar". Endlich erhört jemand all die Gequälten, die unter der Fuchtel der historisch informierten Aufführungspraxis dahinvegetieren – als "gleichgeschaltete Klone" (sic!) ohne persönliche Vibrato-Entfaltungsmöglichkeit. Ein besonders schreckensreicher Ort dieser Klonierung ist bekanntlich Stuttgart, wo Roger Norrington seit fast zehn Jahren das SWR-Orchester zu einem "kalt, dünn und spröde" klingenden Kader schmiedet. Wie dessen "klangliche Selbstverstümmelung" sich anhört, das kann man nun erneut auf einer DVD mit Proben und Konzertmitschnitten romantischer Komponisten erleben. Die entseelten Stuttgarter Klone entfachen in Berlioz‘ "Korsaren"-Ouvertüre einen wahrhaft heißblütigen Feuersturm, das Wagner’sche "Parsifal"-Vorspiel gestalten sie zum kammermusikalisch verinnerlichten Klangfarbenzauber, das "Tristan"-Vorspiel zu einem höchst sublimen, wehmütigen Liebestanz (auf der Grundlage seines 6/8-Rhythmus!), und das "Meistersinger"-Vorspiel kann, von allem rumpelnden Pomp befreit, beschwingt-tänzelnd aufatmen. Schließlich entspricht der vibratolose, "reine" Ton – auf dessen Grundlage der englische "Erzfeind der Aufführungspraktiker" (!) seine einzigartige dynamische, phrasierungsbezogene und klangfarbliche Feinarbeit leistet – zweifellos der von Tschaikowski intendierten "zarten Liebe" im Kopfsatz der "Pathétique" weit eher als der üblicherweise schmachtende Schmelz heutigen Dauervibratos. Mancher Gralshüter beseelter deutscher Innerlichkeit mag hier von Schändung heiligster Traditionen sprechen, andere von aufregender Aufklärung.
Christoph Braun, 15.12.2007
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