Kompromisslos dem Jazz, Richtung Free Improvisation, hat sich das schweizerische Label HAT HUT verschrieben. Im Jahr 1993 nahm es in Koproduktion mit dem WDR in Heiligenhausen und im hessischen Frankfurt das Trio der Pianistin Myra Melford auf, die drei Jahre zuvor mit dieser Formation die New-Jazz-Szene im Sturm erobert hatte.
Die aus Chikago stammende Musikerin gehört zu der dritten New-Jazz-Generation, für die mittlerweile die Avantgarde des "New Thing" ebenso historisch ist wie die fassettenreichen Öffnungs- und Fusion-Bemühungen der siebziger Jahre und die die Jünger der ersten Frühimprovisatoren noch in ihrer vitalen Phase erlebt hat. Don Pullen wäre so ein Bezugspunkt, der bei Melford auszumachen ist; wie bei ihm ist da diese kraftvoll stürmische Spielfreude, die sich ekstatisch auf sich in Clustern entladende Höhepunkte zubewegt, und eine kräftige Prise Blues.
Die allerdings erfährt bei Melford eine harmonische Ausdeutung, die an die lakonischen Sounds eines Mal Waldron erinnern. Egal, ob aus Bauch, Herz oder Intellekt musiziert wird, immer ist die Hingabe an die Musik total und risikobereit offen, wobei Tonalität und Timebezogenheit nie wirklich in Frage gestellt werden.
Im Bassisten Linsey Horner und dem Schlagzeuger Reggie Nicholson hat Myra Melford zwei ebenbürtige Partner, die der zentrifugalen Macht des Klavierspiels ihrer Chefin entsprechende zentripetale Energie entgegensetzen. Dabei gehorchen die Kräfte nicht den Gesetzen der Physik, sondern der Musik: sie heben sich nicht auf, sondern potenzieren sich formgebend. Kein Wunder also, dass eine CD mit einer Auswahl des vom WDR aufgenommenen Materials Myra Melford damals nachhaltig in der Top-Liga der Jazzpianisten etablierte. Die jetzt erschienene Doppel-CD gleichen Titels fügt dem wiederveröffentlichten Material fast ein Drittel bisher nicht verfügbar gemachter Musik bei.

Thomas Fitterling, 01.09.2007

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