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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Summertime

Sidney Bechet

Dreyfus Jazz reference/Edel Contraire 3 46053 671225
(63 Min., 1938 - 1949) 1 CD

Francis Dreyfus verspricht mit seiner Serie „Jazz reference“ nicht wenig: Das Beste der Besten vor 1950, und das in der besten möglichen Klangqualität. Die ersten zwanzig CD-Folgen gelten Armstrong, Herman, Holiday, Beiderbecke, Powell, Christian, Parker, Gillespie, Basie, Reinhardt, Byas, Ellington, Fitzgerald, Waller, Garner, Young, Cole, Hawkins, Tatum und Bechet – und sie sollen klingen, als wären sie gestern aufgenommen.
Dreyfus verspricht viel. Und er hält viel. Er geht von der richtigen Feststellung aus, dass die seit 1950 Geborenen oft allein deshalb kaum Zugang zum klassischen Jazz finden, weil sie der Klang der alten Aufnahmen abschreckt. Die Hintergrundgeräusche der Schellacks sind auf ein unauffälliges Minimum reduziert, der Raumklang, der bislang kaum wahrgenommene Details plastisch hervortreten lässt, ist beeindruckend. Seine Bearbeitungen sind somit genau das Richtige für die von Stereo und High Fidelity verwöhnten Zeitgenossen. Dreyfus möchte die Jungendlichen erreichen, die ihn um einen Weg zum Jazz gebeten haben. Schade ist, dass er dann die Informationen in den CDs auf wenig mehr als die nackten Daten beschränkt. Damit drückt er dem Einsteiger einen Stadtplan in die Hand, statt ihm den Weg zu zeigen.
Wer mit dem Kauf einer CD der Serie den betreffenden Künstler in seiner Sammlung „abdecken“ möchte, macht einen guten Griff. Einen zu guten vielleicht: er wird sicher von der meist hervorragenden Auswahl zum Kauf weiterer CDs verführt werden. Dreyfus bietet allerdings keine „Greatest Hits“ feil. Der Käufer bekommt eine Ella Fitzgerald ohne „A Tisket A Tasket“, einen Charlie Parker ohne „Yardbird Suite“. Dreyfus serviert auch keine chronologischen Entwicklungsgeschichten: Lester Young wird erst ab 1942 geboten. In vielen Fällen hat der Hörer noch weniger Chancen, die Entwicklung des Künstlers zu verfolgen: Das Ellington-Album beschränkt sich auf Aufnahmen des Jahres 1940, Armstrong gibt es nur anno 1928 - aber es sind erlesene Jahrgänge. Das Auswahlkriterium scheint einzig der Geschmack von Francis Dreyfus zu sein - und der ist verlässlich.
Das Sidney Bechet gewidmete Album bietet einen hervorragenden Einstieg in das Werk des wegweisenden Klarinettisten und Sopransaxofonisten. Wie Armstrong verfügte Bechet über die Kunst, mit wenigen, strahlenden Tönen direkt die Herzen zu berühren: Auf „Indian Summer“ und „Blues In The Air“ ist Bechets durchdringendes, glänzend herausschwingendes Sopran-Vibrato im Idealzustand zu hören. „Blues In Thirds“, mit Earl Hines eingespielt, ist eine der vollkommensten Blues-Aufnahmen der Klarinettengeschichte, architektonisches Wunderwerk und anrührende Story zugleich.
An Stelle des berühmten „Summertime“ finden wir hier noch eine seltenere Version. Aus der französischen Periode zweier Exil-Jazzer stammt „American Rhythm“, eine packende Zwiesprache mit Kenny Clarke – der Vater der Bop-Schlagzeuger war der Lieblingsdrummer des alten New Orleansers! Ein orthodoxer New-Orleans-Jazzer war er ohnehin nicht. Wie Bechet in den scheinbar traditionellen Ensembles mit seinem energisch zupackenden Spiel die Trompeter einfach zur zweiten Geige bläst, muss man gehört haben.
Mit solchen Aufnahmen der vierziger Jahre hat sich Dreyfus wirklich Bechet auf der Höhe seiner Kunst herausgepickt. Dass seine Auswahl aber erst 1938 einsetzt, ist unverständlich. Der Mann aus New Orleans war neben Armstrong der erste große Solist des Jazz, machte als Sideman schon 1923 Aufnahmen. Wenn Dreyfus hier klangtechnische Einwände hatte, so hätte er 1932 bei den göttlichen Aufnahmen der New Orleans Feetwarmers einsetzen können. Schmerzlich ist auch das Fehlen eines Beispiels der unverzichtbaren Bechet-Spanier-Big Four des Jahres 1940.
Verschmerzbar, wenn auch schade ist, dass Kuriosa, an denen Bechets Diskografie so reich ist, mit Ausnahme von „Les Oignons“ mit den überraschenden Pausen nicht berücksichtigt wurden: Nichts von den Rhumbas und Merengues (Jahre vor dem Latin Jazz!) oder Bechets Leistung, als erster Jazzmusiker alle Instrumente einer Platte selbst gespielt zu haben. Für all das wären auf der CD noch fünfzehn Minuten Platz gewesen. Doch was uns Dreyfus serviert, ist dazu angetan, den letzten Bechet-Verächter zum glühenden Anhänger zu machen.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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