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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Thomas Stoltzer

Benedicam Dominum, "Erzürne dich nicht" - Psalmmotetten

Josquin Capella, Meinolf Brüser

MDG/Codaex MDG 605 1394-2
(71 Min., 9/2005) 1 CD

Unergründlicher Zauber der Vokalpolyphonie: Der Vorrat an Harmonien ist in der geistlichen Musik des 15./16. Jahrhunderts auf eine sehr überschaubare Zahl von Dur- und Moll-Akkorden beschränkt, die weitgehend polyphone Führung der einzelnen Linien im Stimmengeflecht kann man als Hörender immer nur begrenzt wahrnehmen und verfolgen - und dennoch tut die von der Horizontalen, also von der Einzelstimme aus zu verstehende (und im Entstehen der Stücke auch radikal so konzipierte) Struktur des Satzes mal sehr auffällig, mal ganz im Verborgenen ihren Dienst, indem sie dafür sorgt, dass man in der Regel eben nicht nur eine endlose Folge von Dreiklängen hört. Wichtig ist dafür auch die Sprache: Der nicht kongruente, sondern in jeder Stimme individuelle Vortrag des Textes hilft dem Hörer, die Einzelstimme zu identifizieren. In diesem Punkt ist die Musik von Thomas Stoltzer besonders interessant: Um 1480/85 geboren, gehört er als Zeitgenosse von Clemens non Papa und Adrian Willaert zur Generation zwischen Josquin einerseits und Lasso/Palestrina andererseits. Da er aber auch für protestantische Auftraggeber arbeitete, gibt es von ihm eine Reihe deutschsprachiger geistlicher Werke, von denen zwei Psalmvertonungen auf dieser CD enthalten sind. Stärker noch als in lateinischen Werken sind hier viele der musikalischen Soggetti rhetorisch generiert bzw. bildet der Satz in seinem Verlauf immer wieder einmal den Textinhalt ab. Zwar sind wir hier noch ein gutes Stück entfernt von jenem expliziten "Sprechen Lernen" der Musik, das die Affektenlehre und die musikalische Rhetorik des Frühbarock mit sich bringen sollte, aber eine ganze Reihe deutlicher Bezüge lässt sich doch auch hier schon ausmachen und verfolgen. Die interpretatorisch adäquate Umsetzung solcher Phänomene gelingt den Sängerinnen und Sängern der Josquin Capella unterschiedlich gut: Die erforderliche sprachliche Prägnanz bieten vor allem die Sänger der Mittellage auf, während in den Randbereichen gelegentliche Vokalverfärbungen oder eine vornehmliche Klang- bzw. Legato-Orientierung die Worte nicht immer mit derselben Klarheit zur Geltung bringen. Hier zu einem befriedigenden Gesamtergebnis zu gelangen, ist sicher ein nicht leicht zu bewältigender Balanceakt, denn auch der Gesamtklang verlangt nach jener ansprechenden Rundung, die durchaus ein hervorstechendes Markenzeichen der Josquin Capella ist und nur hier und da durch Intonationstrübungen (verursacht oft durch den tiefen Bass) gestört wird. Überaus lobenswert daher insgesamt dieses Engagement für Stoltzer, der im weitläufigen Alte-Musik-Geschehen doch nach wie vor eher eine Randfigur ist; ebenso lobenswert die Arbeit Meinolf Brüsers und seines Ensembles: Auch mit Vollprofis wie den hier versammelten bleibt Vokalpolyphonie immer "work in progress", die Herausforderungen haben niemals ein Ende.

Michael Wersin, 01.09.2007


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