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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Giuseppe Verdi, Arrigo Boito, Umberto Giordano, Pietro Mascagni u.a.

Enrico Caruso - The Complete Recordings (1)

Enrico Caruso

Naxos 8.110703
(72 Min., 1902, 1903)

Musikjournalisten unserer Tage lieben es, Enrico Caruso (1873-1921), den sie gern mit allen erdenklichen Superlativen etikettieren, gegen die Tenöre der Gegenwart auszuspielen. Domingo und Pavarotti müssten längst stimmlos im Rollstuhl dahinsiechen, wären all die Prophezeiungen wahr geworden, die man ihnen im Zusammenhang mit der Art ihrer Karriereplanung und ihrem vollen Terminkalender gemacht hat. Tatsächlich jedoch ist es Enrico Caruso gewesen, der zumindest in den letzten Jahren vor seinem frühen Tod unter den Folgen seines Raubbaus an sich selbst gelitten hat: Chronische Kopfschmerzen und geistige wie emotionale Auszehrung zählen zu den Leiden, über die er häufig klagte.
Eine objektive Beurteilung seiner zahlreichen Aufnahmen ist umso schwerer, je früher sie entstanden sind: Die schlechte Tonqualität mit starken Nebengeräuschen lassen oftmals nur ahnen, wie außergewöhnlich seine Stimme gewesen sein muss. Hinzu kommt, dass es in den frühen Tagen der Aufnahmetechnik noch nicht jenen Perfektionsanspruch gab, der im Digital-Zeitalter zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
So findet sich im Material der ersten vier Aufnahmesitzungen Carusos, die in den Jahren 1902 und 1903 stattgefunden haben, Überwältigendes neben Dilettantischem. Lange Passagen etwa aus den beiden Takes von "Celeste Aida" oder "Una furtiva lagrima" strotzen vor Kraft und Intensität; durch das Rauschen hindurch hört man eine vibrierende, dunkel timbrierte Stimme von schönster Klangqualität. Allerdings hat Caruso bei beiden Versionen der Arie aus "Aida" vor dem finalen hohen b gekniffen: Einmal erklingt es im Falsett, beim zweiten Mal hört er ganz auf zu singen.
Auch in fast allen anderen Aufnahmen dieser CD sind neben wundervoll durchgestalteten Passagen viele "weiße" Töne zu hören, etwa wenn dem Sänger im Decrescendo der Kern abhanden kommt. Dazu ist sein Gesang häufig nicht frei von hörbarer Anstrengung - Intonationstrübungen, enge Töne und Kratzgeräusche beweisen das. Fazit: Caruso war zweifellos ein außerordentlich begabter Sänger, aber er hatte mit denselben Problemen und Qualitätsschwankungen zu kämpfen wie seine Kollegen und Nachfolger auch. Kein Grund also, ihn unter Schmähung zeitgenössischer Künstler zum größten Tenor aller Zeiten zu erheben.

Michael Wersin, 01.09.2007


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