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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Wahre Helden sterben früh: Er hätte der berühmteste Pianist Amerikas, ja der ganzen Welt werden können, wenn nicht ein Flugzeugabsturz ihn mit einunddreißig Jahren aus dem Leben gerissen hätte. Trotzdem ist Kapell in den Herzen derer, die ihn noch erleben durften oder das Glück hatten, einige seiner wenigen Schallplatten zu ergattern, jene künstlerische Ausnahmeerscheinung geblieben, als die ihn schon zu seinen Lebzeiten nicht wenige Klavierexperten wahrgenommen haben.
Dank der mühevollen Recherche seiner New Yorker Fangemeinde und des noch nicht dahingegangenen Verantwortungsbewusstseins seines Labels RCA kann sich nun jeder Klavier-Interessierte, sechsundvierzig Jahre nach Kapells Tod, ein Bild von der Größe dieses Pianisten machen, und es wird sehr deutlich, dass die Legendenbildungen nicht immer nur der Faszination des Augenblicks zugeschrieben werden können. Nach dieser in jeder Beziehung vorbildlichen, mehr als zehn Stunden währenden Dokumentation seines klingenden Nachlasses wird man die Interpretationsgeschichte unseres Jahrhunderts teilweise umschreiben müssen.
Was einen sofort für diesen ungemein modern wirkenden und energisch artikulierenden Pianisten einnimmt, ist die einzigartige Kombination aus Wachheit des Geistes, Leidenschaft des Herzens und einer pianistischen Bravour und Attacke, die nirgends eine Spur von Attitüde oder Selbstgefälligkeit verrät, sondern in stets radikaler Weise sich dem Geist einer Komposition verpflichtet fühlt. Fast alles, was Kapell sich vornahm, klang danach anders, als man es von anderen Pianisten im Ohr hatte: frischer, lebendiger, gestalthafter, sinnerfüllter.
Kapell hat als einer der wenigen Pianisten das perkussive Wesen des Klaviertons begriffen, und so gründet seine Sensibilität auf einem vergleichsweise harten, prägnanten Anschlagsfundament. So plastisch und zugleich so leidenschaftlich drängend und verzweifelt-heroisch habe ich die h-Moll-Sonate Chopins noch nie erlebt wie in Kapells Interpretation von 1951. Ähnlich körperlich ist seine hier zum ersten Mal publizierte Deutung von Mussorgskys "Bildern einer Ausstellung", die in ihrer fast asketischen Schärfe und inneren Logik sogar die russischen Referenzen Richter und Horowitz gefährdet.
Auch der stets brillante Konzertsolist Kapell ist, neben seinen bekannten Einspielungen des dritten Prokofjew- oder des zweiten Beethoven-Konzerts, hier zum ersten Mal als strukturbetonender Rachmaninow-Interpret zu hören, in zwei virtuos-sprühenden und klassizistisch klaren, gänzlich antisentimentalen Interpretationen der Paganini-Rhapsodie und des Zweiten Klavierkonzerts.
Die Liste der Überraschungen und Aha-Erlebnisse, die Kapell auf Schritt und Tritt bereithält, ließe sich beliebig fortsetzen, und seine Genialität offenbart sich ähnlich fruchtbar auch in den zahlreichen Kleinigkeiten, Fragmenten und verworfenen Takes, die man hier mit aufnahm: Man ahnt, wie faszinierend er Schubert, Mozart oder Bach hätte spielen können, wenn ihm mehr Zeit vergönnt gewesen wäre. So ruft uns diese Edition nicht nur eine "historische" Größe in Erinnerung, sondern wir nehmen mit einem einzigartigen Genie Kontakt auf, das in seiner künstlerischen Klarheit und Sensibilität seiner Zeit weit voraus war.

Attila Csampai, 01.09.2007


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