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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Frédéric Chopin, Robert Schumann u.a.

Soloklavierwerke

Josef Lhevinne, Rosina Lhevinne

Naxos historical 8.110681
(71 Min., 1920 - 1937) 1 CD

Kein Zeuge lebt mehr, der uns sagen könnte, ob Namen wie Paderewski, Hofmann oder eben Josef Lhevinne, zurecht immer noch am Firmament der Überpianisten leuchten, entrückte Figuren einer mythischen Vorzeit, die uns keine kompletten Werkarchitekturen, sondern allenfalls ein paar Klangtrümmer hinterlassen haben, die wir auflesen können.
Lhevinne wurde 1874 geboren, spielte noch Tschaikowsky vor und erwarb sich den Ruf des Technikers unter den Technikern. Aber er konzertierte wenig, als hätte er auf das Publikumsecho durchaus verzichten können. Alles, was er im Studio einspielte, passt auf eine einzige CD. Wir werden nie erfahren, wie er Brahms gespielt hat oder das Tschaikowsky-Konzert. Aber Schulz-Evlers Transkription der Strausschen "Donau" oder Chopins Terzenetüde verraten in ihrer Paarung von Mühelosigkeit und einer federnden Anspannung, die an die zugleich lässig-geschmeidige und gespannte Muskulatur einer Raubkatze erinnern, eine einsame Beherrschung der Tastatur.
Lhevinnes Spiel neigt zu größter Transparenz, er pedalisiert sparsam, und dennoch vertrocknet sein Ton nicht, ist noch samtig eingepolstert in perkussiven Passagen. Auch wundert man sich, mit welcher Elastizität er rhythmische Freiheiten in Chopins As-Dur-Polonaise auffängt, als schnürten straffe Gummibänder das Werk sicher ein. Unangefochten von Marotten aus der Rumpelkammer des 19. Jahrhunderts, sein Stilebenmaß für keinen Effekt gefährdend, wirkt er wie jemand, der nur zu seinem Vergnügen spielt, sich niemals echauffiert und den Zuhörer fast ein wenig ausschließt.
Schumanns Toccata mag uns Piano-Archäologen verraten, dass dieser genügsame Charakterzug auch die Architektur größerer Werke gezeichnet haben könnte. Lhevinne ist gar nicht daran interessiert, diese Pianistenfolter im heute üblichen Tempo herunterzuschnurren und zu hacken. Aus der Sphäre mechanischer Qual tritt bei Lhevinne ein entspannt entfalteter Sonatensatz hervor, dessen oft gequält zum Gleichlauf gedrillten Figuren sich in eigentümlich silberglänzende Kräuselungen auf der Oberfläche verwandeln. Großes Klavierspiel.
Aber die Zeit, grausam selektierend, wie sie ist, würde vermutlich entschieden haben, dies sei nicht genug für die Ewigkeit. Die erwarb sich Lhevinne zusammen mit seiner Frau Rosina in fünf Minuten. Fünf nie mehr zu übertreffende Minuten auf der Mittagshöhe. Rosina Lhevinnes Schüler Van Cliburn berichtet, die beiden hätten im Studio noch etwas Zeit gehabt und Debussys "Fêtes" in Ravels Transkription einfach einmal durchspielen wollen. Nur für sich, wieder einmal. Wir aber meinen ein ganzes Orchester zu hören, doch könnte ein Orchester so vibrierend angespannt, so bebend bis in den letzten Muskel spielen? Wir hören kein belangloses Schaustück, sondern die Essenz dieser "Fêtes". Und die Verwandlung einer schwerelos federnden Überpianistik in reinen Geist.

Matthias Kornemann, 01.09.2007


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