Sony 89700
(52 Min., 1988, 2001) 1 CD
So ganz normal ist es ja nicht, wenn einer sein 20. Bühnenjubiläum mit einunddreißig Jahren feiert ... Da muss man direkt mal wieder dran denken, wie viel Leben auf dem Drahtseil ein Wunderkind in Jahre quetscht, da wir anderen noch mit Murmeln spielen. Oder mit sonst was, nur nicht mit Bach oder Beethoven. Oder vielleicht denkt man an Schubert, den armen Franzl, der mit einunddreißig Jahren schon tot war und nur ein Zirka-achtzehn-Jahre-"Jubiläum" hinter sich hatte ... Auch wenn er darin ein komplettes Lebenswerk schuf.
Ja, dieses "Midori: 20-Jahre-Jubiläums- Album" setzt jenseits der Bewunderung für die Musik noch manchen Gedanken in Gang. Das aber ist eher ein Kompliment - man lauscht dieser CD nämlich auch eine Entwicklung ab. Sie beginnt mit einem typischen Rattenfängerstück der romantischen Periode, Henryk Wieniawskis erstem Konzert, einer (sehr hörbar) Live-Aufnahme von 1988, die bislang in Deutschland nicht zu haben war und - nun ja, die damals siebzehnjährige Midori eben als das zeigt, womit sie groß wurde: als Rattenfängerin. Das Sinfonieorchester von St. Louis spielt noch recht hären, es rauscht, als sei die Aufnahme eine analoge - und doch hört man natürlich in jeder Sekunde, wohin scheinbar der Star Midori steuerte.
Das war zumindest damals wahr, aber der Rest der CD zeigt auch die heutige Midori: Im intimen Duo mit ihrem Pianisten Robert McDonald spielt sie typische "Zugaben" - aber sie spielt sie so, wie man ihr das noch vor ein paar Jahren nicht zugetraut hätte. Da ist kein Showgeklingel mehr, sondern die mitunter auch nachdenkliche Sprache der gereiften Künstlerin. In Debussys flachsblondem Mädchen zum Beispiel findet sie Nuancen, über die ein Heifetz recht kühl hinwegspielte - und Prokofjews "Großmutter-Geschichten" oder die bescheiden-anrührende Romanze der Amerikanerin Amy Beach haben so gar nichts Rattenfängerisches mehr, sind kleine Preziosen, die Midori auf Hochglanz poliert.
Das ist Musik, die von Herzen kommt - und nicht aus der Garderobe. Der Klang der Duostücke geriet tadellos; da kann man das Grobgewirkte bei Wieniawski als "historisch" hinnehmen - so klang die siebzehnjährige Midori, die inzwischen zu einer großen Geigerin heranreifte.
Thomas Rübenacker, 10.10.2002
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