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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Rudi Stephan

Die ersten Menschen

Nancy Gustafson, Franz Hawlata, Wolfgang Millgramm, Donnie Ray Albert, Orchestre National de France, Mikko Franck

Naïve/harmonia mundi 5028
(93 Min., 1/2004) 2 CDs

Als ein "erotisches Mysterium" hatte der Schriftsteller Otto Borngräber 1908 sein Stationendrama bezeichnet, in dem die vierköpfige Urfamilie in den ewigen Strudel aus Schuld und Sühne, Wollust und Gewalt gerät. Bis hin zur körperlichen Vereinigung zwischen Mutter und Abel. Diese Szene ist freilich mehr fantasmagorisch als real zu deuten. Aber selbst diese klassische Ödpiuskonstellation, die perfekt auf Sigmund Freuds Couch gepasst hätte, war seinerzeit aber dann doch zu heiß. Und so wurde dieser anstößige Traum bald genauso aus Rudi Stephans Opernfassung des Borngröberstoffes herausgestrichen wie knapp ein weiteres Drittel der Originalpartitur. Verantwortlich für diese Eingriffe war 1923 der dem Komponisten eng verbundene Kurt Holl, der damit Stephans einzige Oper "Die ersten Menschen" bis in die 1980er Jahre als verstümmeltes Meisterwerk hinterlassen sollte. Und erst 1998 fand in Berlin eine konzertante Aufführung statt, die Grundlage für die Weltersteinspielung der Urfassung wurde. Ebenfalls auf einer konzertanten Aufführung basiert der Pariser Mitschnitt einer Oper, deren Uraufführung 1920 Stephan nicht mehr miterleben konnte. Der 1887 in Worms geborene Komponist und spätere Lehrer von immerhin Paul Hindemith, Hans Rosbaud und Theodor W. Adorno fiel 1915 im Ersten Weltkrieg im Alter von nur 28 Jahren.
Rudi Stephan schöpfte für seine "ersten Menschen" Chawa (Eva), Adahm (Adam), Kaijn (Kain) und Chabel (Abel) aus dem Vollen, was die musikemotionale Opulenz angeht. Spätromantischer Saft über expressionistische Saxofonfarben bis zu schroff-grellen Explosionen wie im apotheotischen Finale bilden das Fundament für diesen etwas anderen Bibelkrimi. Und für die Hochspannung hat nun nicht nur eine schlichtweg bewundernswerte Aufnahmetechnik gesorgt, die den Live-Atem mit Studiotransparenz zusammengebracht hat. Das von Mikko Franck zur koloristischen und in den Strukturen zur rasierklingenscharfen Direktheit angespornte Orchestre National de France sorgt für intensive und impulsive Schübe. Nancy Gustafson als Chawa, die das Sängerquartett anführt, ist wandlungsfähig und jugendlich, ihre Stimme reicht vom lockeren Parlando über delikate Mezza-voce-Künste bis zu heftigen Ausbrüchen. Und was bei den Wagnerrecken Wolfgang Millgramm (Chabel) an unforcierter strömender Sonorität und bebender Deklamatorik zu bestaunen ist, gilt ohne Abstriche für den Adahm Franz Hawlata. Große Oper.

Guido Fischer, 17.11.2007


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