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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Tomás Luis de Victoria

Ad Vesperas (das unveröffentlichte römische Manuskript)

La Colombina

K 617/harmonia mundi K617 209
(74 Min., 2/2008) 1 CD

"Deus, in adiutorium meum intende": Zehn Vesperpsalmen aus der Feder Tomás Luis de Victorias (ca. 1548-1611), des großen spanischen Zeitgenossen Palestrinas – bisher unveröffentlicht, bisher ungehört zumindest in unserer Zeit. Zwar war die Existenz des römischen Manuskripts, das die Kompositionen samt enthält und Victorias Autorschaft eindeutig belegt, schon seit den Siebzigerjahren bekannt, aber die Mühlen der Musikwissenschaft mahlen langsam. Im Jahre 2003 erschien die Sammlung dann endlich im Druck: Es handelt sich um die vierstimmige Vertonung der geradzahligen Verse von insgesamt zehn Psalmen zum Gebrauch in festlichen Vespergottesdiensten. Die jeweils nicht vertonten, ungeradzahligen Verse sind einstimmig im Psalmton hinzuzufügen – so sah es die Alternatimpraxis jener Zeit vor. Hinzugefügt haben die Musiker von La Colombina auch passende gregorianische Antiphonen, sodass der Hörer einen Eindruck von der liturgischen Einbindung der Sätze Victorias bekommt, ohne dass ihm der Versuch einer Rekonstruktion der kompletten Vesper präsentiert wird.
Das Reizvolle an Victorias Psalmverssätzen: Es handelt sich nicht um simple Falsobordone-Modelle, die jede Psalmstrophe nach Deklamation des Textbeginns auf einem Akkord in immer gleiche Kadenzen münden lassen; vielmehr komponierte Victoria zwecks Erhöhung der Festlichkeit der Musik individuelle Sätze für alle Psalmstrophen, die dem Textfluss optimal gerecht werden und teils auch die Textaussage harmonisch bzw. satztechnisch unterstreichen – Vespermusik-Kleinkunst der feinsten Sorte also. Die Interpretation der wiederentdeckten Musik Victorias durch das Ensemble La Colombina darf u. a. vor dem Hintergrund der kleinen Besetzung von nur vier Sängern als sehr lebendig und nuancenreich bezeichnet werden: Eintönigkeit gibt es nicht, Langeweile kommt nicht auf bei einem Hörer, der sich in diese Musik zu vertiefen bereit ist und den Sinn solcher Psalmodie zumindest prinzipiell erfasst. Gewöhnungsbedürftig ist allenfalls die Diktion der Sänger: Zwar entstammen sowohl sie als auch Victoria und seine Musik dem romanischen Sprachraum – aber ob man deshalb so schlampig mit den Wortgrenzen umgehen, also vokalisch anlautende Worte generell mit den vorausgehenden Silben "verkleben" sollte, sei dahingestellt; Victorias offenkundiges Bemühen um Textverständlichkeit wird durch diese Art der Darbietung jedenfalls konterkariert.

Michael Wersin, 20.12.2008


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